Julia Extra Band 0301
Richtungsanweisungen erteilt. „Mitten in der Pampa“, hatte er gesagt.
Das war keine Lüge. Vor ein paar Meilen hatte sich die Schotterpiste in einen Feldweg verwandelt, der sich jetzt in der Wildnis verlor. Es war kaum mehr als ein dünner Pfad zu erkennen.
Ally kam es so vor, als befände sie sich auf einer Reise ins Nirgendwo. Irgendwann begann sie sich zu fragen, ob sie nicht eine Abzweigung verpasst hatte. Aber sie sah nichts, was diese Bezeichnung verdiente.
Und dann, gerade als sie glaubte, weder ein Haus noch den Rückweg jemals zu finden, bog sie um eine Kurve und sah vor sich ein grünes Tal, in dessen Mitte endlich das gesuchte Haus stand.
Als sie den Motor ausschaltete, war sie umgeben vom Gezwitscher der Vögel und dem Rauschen des Windes in den Palmenblättern. Das Brechen der Wellen, die an den nicht weit entfernten Strand schlugen, drang an ihr Ohr.
Das Haus schien direkt aus einem Märchen oder einer alten fernöstlichen Legende auf die Erde gefallen zu sein. Aus Holz und Stein erbaut, wirkte es dank seiner aus hellem Stoff gewebten Sonnensegel und der sich in der sanften Brise bauschenden Vorhänge nach allen Seiten hin offen und luftig. Zweifellos das Versteck eines exzentrischen Milliardärs. Bestimmt nicht Peters Haus.
Ally schnappte sich ihre Reisetasche, ging die letzten Meter zum Haus und klopfte an die Tür. Niemand schien sie zu hören. Die Fenster standen offen, vielleicht war auch die Haustür unverschlossen? Wer würde hier schon einbrechen?
„Jemand zu Hause?“, rief sie.
Wieder keine Antwort.
Sie drückte die Klinke nieder. Die Tür ging auf.
Das Innere des Hauses war ebenso bezaubernd wie sein Äußeres. Auf dem Boden aus Teakholzdielen lagen gewebte Matten. Die Einrichtung bestand aus Rattanmöbeln, einem großen offenen Kamin und auffälligen Kunstgegenständen. An der Wand gegenüber der Tür hingen einige Masken und über dem Sofa ein sehr altes Surfbrett. Der Platz über dem Kamin war mit einem Wandbehang geschmückt, der …
… ihr sehr vertraut vorkam.
Und den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Wie in Trance trat sie vor das Bild.
Sie hatte es während ihres ersten Jahrs in Kalifornien genäht, als das Heimweh noch richtig groß gewesen war. Es zeigte den Strand, an dem sie Peter kennengelernt hatte. Das Meer in all seinen blauen und grünen Schattierungen, die Häuser und Geschäfte. Die Ausführung war amateurhaft, wie sie jetzt auf den ersten Blick erkannte. Dennoch war es ihr gelungen, eine Erinnerung einzufangen, eine Zeit, einen Ort. Eine Szenerie, die nur für sie eine ganz besondere Bedeutung besaß.
Und doch hatte jemand das Werk gekauft. Sie hatte es stets mit einem viel zu hohen Preis ausgezeichnet, um potenzielle Käufer abzuschrecken.
Eines Tages jedoch war es trotzdem verkauft worden.
Sie streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingern über den ausgefransten Rand.
Jetzt bestand kein Zweifel mehr, wem das Haus gehörte.
Ally trat an die Fenster, die sich zur Meerseite öffneten. Ein Mann näherte sich vom Strand her dem Haus.
Sein nackter Oberkörper war von einem schlimmen Sonnenbrand gezeichnet. Unter dem Arm trug er ein Surfbrett. Er sah atemberaubend gut aus. Nur glücklich wirkte er nicht.
Unwillkürlich fragte Ally sich, ob es ihn glücklich machen würde, sie zu sehen.
Oder war sie zu spät gekommen?
Mit einem letzten tiefen Atemzug stieß sie die Tür zur Veranda auf. Sie quietschte laut.
Peter schaute auf. Und erstarrte.
„Al?“ Seine Stimme klang rostig.
Vorsichtig lächelnd trat sie einen Schritt auf ihn zu. „Du hörst dich ja schlimmer an als die Tür.“
„Habe … hier nicht viel Gelegenheit zum Plaudern.“ Er bewegte sich noch immer nicht.
Dann war es eben an ihr, die Führung zu übernehmen. „Wirst du mit mir reden?“
Peter musterte sie misstrauisch. „Über was?“
„Zurück nach New York zu kommen. Lukas will dich dort haben.“
„Für Lukas gehe ich nicht zurück.“
„Und für mich?“
Einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Dann regte sich Peter.
Nach drei großen Schritten stand er vor ihr, schloss sie in seine Arme und zog sie so fest an sich, als wolle er sie nie wieder loslassen.
„Was ist passiert?“, fragte er nach langer Zeit. „Dein Vater …?“
„Er will dich kennenlernen.“
Ungläubig schaute er sie an.
Ally nickte. „Ich habe ihm gesagt, dass ich dich liebe.“
Ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht. „Und er ist nicht gestorben?“
„Er wartet noch
Weitere Kostenlose Bücher