Julia Extra Band 0302
Niemals konnte sie diese Schuld tilgen. Sie hatte ihr Leben geändert, war ein besserer Mensch geworden, und dennoch würde sie diese Last immer weiter tragen müssen. Wie konnte sie an ihre Zukunft denken, wenn Loris Tod wie ein Schatten über ihrem Leben lag?
Aimi war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nichts und niemanden um sich herum registrierte. Nicht den Verkehr, der um sie herum toste, nicht die Menschen, die an ihr vorübereilten. Sie setzte einfach einen Fuß vor den anderen, und nicht einmal das Hupen eines Wagens schreckte sie auf. Erst als sie von dem Auto erfasst und gegen ein anderes geschleudert wurde, riss der jähe Schmerz sie kurz aus ihren Grübeleien. Ein schriller Schrei, dann war alles schwarz.
Sie fühlte sich, als wandere sie durch dichten Nebel über einen unsichtbaren Untergrund. Aimi wusste, dass sie etwas suchte, doch sie konnte es nicht sehen. Kurz darauf stöhnte sie auf, und sofort war da eine Hand, die ihre hielt. Diese Hand war stark und sanft zugleich. Getröstet und beruhigt entspannte sie sich sofort und ließ sich in das Dunkel zurücksinken.
Als Aimi sich das nächste Mal bewegte, waren die Nebel verschwunden und sie schaute sich verwundert um. Es war Nacht. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, und als sie versuchte, ihren linken Arm zu bewegen, fuhr ein dumpfer Schmerz durch ihr Handgelenk, sodass sie den Arm vorsichtig wieder sinken ließ.
Mit aller Kraft bemühte sie sich, den Kopf zu heben. Doch auch diesen schmerzhaften Versuch gab sie schnell wieder auf. Ihr wurde klar, dass sie verletzt sein musste, und so bewegte sie vorsichtig ihre Gliedmaßen nacheinander und stellte fest, dass ihre Beine und der rechte Arm sich ohne große Schmerzen heben ließen. Doch als sie versuchte, sich aufzusetzen, rebellierte ihr ganzer Körper, und sie ließ sich in die Kissen zurückfallen.
Sie musste im Krankenhaus sein, vermutete Aimi. Was um Himmels Willen war geschehen? Und obwohl sie die Frage nicht laut gestellt hatte, bekam sie eine Antwort.
„Du hattest einen Unfall, ein Auto hat dich angefahren“, sagte eine vertraute Stimme, und Aimi drehte vorsichtig den Kopf, bis sie ihre Mutter entdeckte.
„Einen Unfall?“ Ihre Stimme klang rau, denn ihr Hals war vollkommen trocken.
„Ja, anscheinend wolltest du die Straße überqueren und bist direkt in ein Auto hineingelaufen“, erklärte Marsha Delmont, während sie ans Bett trat und sich wieder auf den Stuhl setzte, auf dem sie schon unzählige Stunden verbracht hatte. „Du hast Glück gehabt. Du bist mit ein paar Rippenprellungen und einem gebrochenen Handgelenk davongekommen.“
Das erklärte ihre Schmerzen. Sie versuchte, ihren Körper weiter abzutasten, doch die Bewegung verschlimmerte nur den pochenden Kopfschmerz, sodass sie sofort wieder aufhörte. „Ist dem Autofahrer etwas passiert?“
Marsha beugte sich zu ihrer Tochter und nahm ihre Hand. „Es war eine Fahrerin, und sie hat einen Schock – genau wie ich.“
„Wenn ich mich nur erinnern könnte. Wo ist es passiert?“
„In Chelsea, in der Nähe vom Fluss“, erzählte Marsha und hielt erwartungsvoll inne.
Doch Aimi runzelte nur die Stirn. „Was habe ich dort gemacht?“
Ihre Mutter atmete tief durch. „Nun, mein Schatz, der Unfall geschah in der Nähe von Loris Elternhaus“, sagte sie zurückhaltend und beobachtete, wie ihre Tochter nach und nach verstand.
Als ihre Mutter Loris Namen erwähnte, lichtete sich der Nebel und die Erinnerung kehrte zurück. Sie wusste wieder, wo sie gewesen war und warum. „Ich wollte ihre Eltern besuchen“, erklärte sie.
Marshas Herz zog sich zusammen. „Warum, Liebling?“
Aimi schenkte ihr ein erschöpftes Lächeln. „Ich wollte mit ihnen über Lori sprechen. Es war … wichtig für mich. Ich dachte … ich hoffte … dass sie mir vergeben könnten nach all der Zeit. Doch ich weiß jetzt, dass sie das niemals tun werden.“
In den Augen ihrer Mutter schimmerten Tränen. „O Aimi. Es tut mir so leid, dass du das noch einmal durchmachen musstest. In den ersten Jahren hatte ich mehrmals den Kontakt zu Loris Mutter gesucht, doch sie weigerte sich, mich zu empfangen. Vielleicht hätte ich genauso reagiert, wenn ich dich verloren hätte. Du musst versuchen zu verstehen, was sie durchmacht, und darfst sie nicht verurteilen.“
Aimi drückte die Hand ihrer Mutter. „Das tue ich nicht. Ich weiß, dass sie recht hat mit allem, was sie sagt.“
„Was hat sie denn gesagt?“, hakte Marsha nach, denn die Wendung des
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