Julia Extra Band 0302
Lächeln wurde wehmütig. „Er weiß gar nicht, wie viel Glück er hat, im Vergleich zu vielen anderen Kindern.“
Nikos’ Miene wurde ernst. „Sicher, an Materiellem fehlt es ihm nicht. Aber er hat keine Eltern.“
Ann biss sich auf die Unterlippe. „Aber es gibt viele Kinder, die weder Familie noch materielle Sicherheit haben. Trotzdem, wer würde ihm auch nur einen Augenblick sein Glück missgönnen? Und er ist ja auch nicht im Mindesten verwöhnt.“
„Nein“, stimmte Nikos zu, „dafür haben wir gesorgt, meine Mutter, Tina und ich.“
„Er ist ein Engel“, rief Ann.
Um Nikos’ Mund zuckte es. „Nun, da spricht die vernarrte Tante aus dir.“ Wieder veränderte sich seine Miene. „Das bist du doch, nicht wahr? Oder hast du mir das nur vorgespielt? Du liebst ihn wirklich.“
„Ist dann denn so überraschend?“
„Vielleicht nicht“, antwortete er nachdenklich.
Er klang zögernd. Wie auch nicht, dachte Ann. Es musste ihn doch ärgern, dass sein Neffe ihr tatsächlich etwas bedeutete, den sie, wie er nicht müde wurde zu betonen, verkauft hatte.
„Ich glaube, du hast Ari inzwischen lieb gewonnen“, sagte er langsam, „nachdem du auf Sospiris und hier in Paris Zeit mit ihm verbracht hast. Denn jetzt ist er dir ja auch nicht länger eine Last, wie er es als Baby war.“
Unverwandt sah er sie an, mit diesem Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Am liebsten hätte sie ihm entgegengehalten, wie falsch er lag. Ari war ihr nie eine Last gewesen, sondern das Wertvollste in ihrem Leben. Sie wäre beinahe daran zerbrochen, als sie ihn hatte weggeben müssen …
Doch Nikos sprach mit ernster Stimme weiter, während ihre Augen sich vor Überraschung weiteten.
„Als ich an dem Abend vor vier Jahren zu dir kam, war ich voller Trauer um meinen verstorbenen Bruder. Doch da war auch noch ein anderes Gefühl in mir.“ Er hielt kurz inne. „Angst.“
Ungläubig sah sie ihn an.
„Ja, Angst. Und Wut, nicht nur auf deine Schwester, sondern auch auf mich selbst. Denn ich hatte dafür gesorgt, dass Ari als uneheliches Kind auf die Welt kommt. Ich war so sicher, dass Carla meinen Bruder nach Strich und Faden belogen hatte und gar nicht von ihm schwanger war, sondern von einem ihrer vielen anderen Männer. Ich habe ihn überredet, bis nach der Geburt zu warten und dann einen DNA-Test machen zu lassen. Ich war überzeugt, dass er negativ ausfallen würde, sodass er diese Frau, die nur sein Leben ruinieren würde, nicht heiraten müsste.“ Er schluckte. „Als ich an dem Abend zu dir kam, gab es aber noch ein Gefühl, das stärker war als die Wut auf mich selbst. Meine Angst vor dir.“
„Vor mir?“ Ann konnte nicht glauben, was sie da hörte.
Sein Mund verzog sich. „Ja, Ann, vor dir. Vor einem unscheinbaren Mädchen, das in einer schäbigen Wohnung lebte und ein Baby im Arm hielt, das ich mir so verzweifelt wünschte und das du mir hättest vorenthalten können.“ Er atmete tief durch. „Du hast sicher gewusst, wie stark deine Position war, als ich dir sagte, dass ich Ari haben will, stimmt’s?“
„Ich verstehe nicht ganz.“
„Dass du Geld von mir fordern konntest. Theos mou , Ann, dir gehörte der Sohn meines Bruders von rechts wegen. Als deine Schwester starb, wurdest du Aris gesetzlicher Vormund, und als solcher hattest du unbegrenzte Macht über mich. Wären Carla und Andreas verheiratet gewesen, hätte ich dir Ari ohne weiteres nehmen können. Denn kein Gericht der Welt hätte ihn einer verarmten jungen Frau überlassen, wo ich als Onkel ihm doch so viel mehr bieten konnte. Doch als Aris Vormund hattest du alle Trümpfe in der Hand.“
Freudlos lachte er auf. „Ich hatte an diesem Tag nur eine Waffe in der Hand, mit der ich dich schlagen konnte. Mein Geld. Doch ich hatte Angst, dass du mich abweisen würdest, und deshalb war ich so hart zu dir. Was deine Schwester auch getan haben mag, so warst du kaum verantwortlich dafür. Und trotzdem war ich wütend auf dich, weil du die Macht hattest, mir das zu verweigern, was ich mir am meisten wünschte – den Sohn meines Bruders.“ Kurz schloss er die Augen, da er sich einer Wahrheit gegenübersah, die er hatte leugnen wollen und die nun schonungslos offenbarte, warum er Ann so sehr verachten wollte. „Ich weiß, dass ich an diesem Tag von Glück sagen konnte. Denn ich stand einer Frau gegenüber, die jung und arm genug war, um sie mit einem Almosen bestechen zu können.“
Ann schluckte schwer. Eine Million Pfund sollte ein Almosen
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