Julia Extra Band 0305
Stück hochschob, weil sie kurz darauf elegant die langen Beine übereinanderschlug.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, Eure Hoheit?“, fragte er heiser. „Oder ziehen Sie Tee vor?“
„Ein Glas Wasser wäre nett, vielen Dank.“
Mrs. Gray, die schrecklich nervös in der offenen Tür verharrte, war froh, endlich etwas Konkretes zu tun zu bekommen, und wieselte eilig davon, um ihrer Prinzessin zu holen, was das Herz begehrte.
Bryce gelang es nur mit Mühe, seine Ungeduld zu bezwingen, bis das Wasser serviert war und Mrs. Gray sich nach einem formvollendeten Hofknicks zurückgezogen hatte.
„Ich weiß zwar, dass Amanda noch Schwierigkeiten hat, sich richtig in die Schlossschule zu integrieren, aber als großes Problem habe ich das bisher nicht angesehen“, steuerte er jetzt ohne Umschweife auf sein Ziel zu.
„Nicht einmal, nachdem Sie meine Nachricht gelesen haben?“
Zwischen den dunklen Brauen erschien eine winzige Falte. „Ich habe keine Nachricht erhalten.“
Natürlich hatte Giselle mit einer derartigen Antwort bereits gerechnet. „Amanda hat gesagt, sie hätte Ihnen den Brief hingelegt.“
„‚Hingelegt‘?“, vergewisserte er sich nach der exakten Wortwahl seiner Tochter.
„Ja, so hat sie sich ausgedrückt“, erwiderte Giselle und begriff. „Wo könnte sie ihn also deponiert haben?“
Bryce stieß einen frustrierten Laut aus. „Wahrscheinlich an dem einzigen Platz, den ich seit Tagen nicht aufgesucht habe … meinem Schreibtisch!“ Damit verschwand er durch die Tür und kehrte wenig später mit einem Umschlag in der Hand zurück. „Gefunden, unter einem Stapel von Post und anderen Papieren“, gestand er kleinlaut.
Ihr kühles Nicken vermittelte ihm das unangenehme Gefühl, als sei er bei dieser gestrengen Lehrerin in Ungnade gefallen und nicht seine Tochter. Meine Güte! Die Prinzessin brachte es tatsächlich fertig, dass er sich plötzlich als schlechter Vater empfand, dabei war Amanda für ihn der Dreh- und Angelpunkt aller wichtigen Entscheidungen. Auch der, von Nuee nach Merrisand umgesiedelt zu sein.
„Vielleicht wären Sie jetzt so freundlich, ihn zu lesen?“, schlug Giselle nüchtern vor.
Bryce presste die Kiefer zusammen. Dies war ein Moment der Entscheidung: Entweder blieb er sein eigener freier Herr … oder er musste gehen. Sein Vertrag beinhaltete eine sechsmonatige Probezeit, die von beiden Seiten fristlos gekündigt werden konnte.
„Ich ziehe es vor, es aus Ihrem Mund zu hören, Eure Hoheit …“, erwiderte er angespannt und drückte der Prinzessin den verschlossenen Brief in die Hand.
4. KAPITEL
Bryce Laws brachte es tatsächlich fertig, ihren Titel eher despektierlich denn ehrerbietig auszusprechen, doch Giselle wollte sich nicht schon wieder von ihm provozieren lassen. Immerhin war sie eine Prinzessin, sein Boss und die Lehrerin seiner Tochter.
Und allein darum ging es hier. Um Amandas Wohlergehen und nicht um ihre eigenen Gefühle. Wenn die nur nicht so verworren und überwältigend wären!
Jetzt, nachdem sie wusste, dass Bryce der mysteriöse Mann hinter der schwarzen Maske war, sollte sie doch eigentlich zufrieden sein. Das Rätsel war gelöst. Stattdessen grübelte sie unablässig darüber nach, ob sich wohl hinter seiner enormen Stärke eine ebensolche Zärtlichkeit verbarg. Und ob er ihr Herz etwa noch heftiger schlagen lassen könnte, wenn er sie in seinen Armen hielt und küsste, als er es allein mit einem Blick vermochte …
Giselle blinzelte heftig und versuchte, sich zusammenzureißen.
„Amanda ist während des Unterrichts völlig abwesend“, informierte sie Bryce nüchtern.
Schlagartig hellte sich seine düstere Miene auf, und er ließ sich sogar zu einem Lächeln hinreißen. Giselle hielt den Atem an, so überwältigend war die Veränderung auf dem herben Männergesicht. „Kinder passen doch selten im Unterricht auf, zumindest nicht freiwillig. Haben Sie während Ihrer Schulzeit denn nie aus dem Fenster in den strahlenden Sommertag gestarrt und sich sonst wohin geträumt? Ich schon.“
„In den ersten Schuljahren kannte ich gar keine Klassenzimmer, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie Sie es meinen. Und da meine Privatlehrer es nicht zuließen, dass meine Aufmerksamkeit abschweifte …“
„Wie glauben Sie dann, beurteilen zu können, was im Kopf einer Schülerin vor sich geht, die Sie nur wenige Stunden in der Woche sehen? Und dann noch innerhalb einer Gruppe.“
Schön ruhig bleiben, ermahnte Giselle sich. Bloß jetzt nicht
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