Julia Extra Band 0305
überließ Demos das Ruder seinem Angestellten und gesellte sich zu Althea aufs Vorderdeck. Eine frische, salzige Brise wehte ihnen ins Gesicht, am Horizont ballten sich weiße Wölkchen zusammen.
„Du hast mich nicht geheiratet, um mich zu retten“, sprach Althea aus, was ihr inzwischen klar geworden war. „Du hast es für Brianna getan.“
Demos schwieg, den Blick in die Ferne gerichtet. Althea fragte sich niedergeschlagen, ob ihre Ehe jemals mehr als eine Farce sein konnte, basierend auf Lügen und Halbwahrheiten.
Als sie schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, sagte er leise: „Mein Vater verließ uns, als Brianna noch ein Baby war. Meine Schwestern gingen zur Schule, meine Mutter arbeitete in einer Wäscherei. Es blieb mir überlassen, mich um Brianna zu kümmern. In ihren Augen bin ich alles, was sie hat.“
Althea nickte nachdenklich. Etwas Ähnliches hatte sie schon vermutet. „Aber es war doch vorauszusehen, dass deine Heirat sie nur eifersüchtig machen würde“, wandte sie ein. „Ich verstehe nicht, wie es ihr helfen soll.“
„Ich wollte ihr ein stabiles Umfeld bieten.“ Seine Stimme klang jetzt hart und energisch. „Sie sieht ein Vorbild in mir, und ich wollte mit gutem Beispiel vorangehen, damit auch sie sich entschließt zu heiraten. Sie braucht jemanden, der sie beschützt. Du hast ja gesehen, sie ist etwas … unausgeglichen.“
Brianna war mehr als unausgeglichen, sie war hochgradig labil und konnte jeden Moment zusammenbrechen. Althea kannte dieses Gefühl nur zu gut. Es lauerte immer noch im Hintergrund.
Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie hinter der Fassade, die sie der Welt und Demos präsentierte, immer noch das kleine Mädchen von damals war: verängstigt, verzweifelt, allein. Genau wie Brianna.
„Glaubst du, sie ist in der Verfassung zu heiraten?“, fragte Althea und sah, wie sich Demos’ Augen verengten.
„Bist du es?“, entgegnete er kühl.
Sie merkte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Verstört wandte sie sich ab. Als Demos ihr Handgelenk umfasste, zuckte sie zusammen.
„Althea …“ Was immer er hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Reglos, mit versteinerter Miene, blickte er auf die feinen blassen Narben an der Innenseite ihres Unterarms. Sie folgte seinem Blick, wollte ihm die Hand entziehen, doch er hielt sie fest.
„Was ist das?“, fragte er ernst.
Sie zögerte. Bruchstückhafte Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf, zu qualvoll, um sich näher damit zu befassen. Seit Jahren hatte sie die Narben nicht mehr angesehen.
„Schulmädchenkram“, meinte sie wegwerfend. „Eine Wette im Internat. Man ritzt sich die Haut auf, und wer die Schmerzen am längsten aushält, hat gewonnen.“
„Wer die Schmerzen am längsten aushält?“, wiederholte Demos, kaltes Entsetzen in der Stimme. Mit der Fingerspitze zog er die feinen Linien auf ihrer Haut nach. Es kam ihr vor, als ritze er ihre Seele auf. „Das sind keine harmlosen Kratzer. Diese Narben stammen von einer Rasierklinge.“
Althea versuchte sich loszureißen, doch er ließ sie nicht los. Ihre Blicke trafen sich. In seinen klugen grauen Augen spiegelte sich das grausame Wissen um die Bedeutung ihrer Narben. Er schien direkt in ihre Seele sehen zu können, und seine Miene besagte, dass ihm nicht gefiel, was er da sah.
„Ich sagte doch, es ist lange her“, flüsterte sie. Ihre Lippen fühlten sich taub an, taub wie alles an ihr. Doch es war kein angenehmer Zustand der Umnebelung wie bei ihrer Hochzeit, sondern ein verzweifelter Schutzwall gegen die Gefühle, die in ihr brodelten. Die Erinnerungen, die Angst, die Scham. Ein haarfeiner Riss genügte, und alles kam wieder hoch …
„Warum?“, fragte Demos.
Sie zuckte mit den Schultern. „Eine Mutprobe.“
„Nein“, widersprach er scharf. „Ich kenne solche Verletzungen. Meine Schwester kam deswegen mit vierzehn ins Krankenhaus. Sie sagte, es gebe ihr das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Ist es das, Althea?“
Sie zerrte an seiner Hand, er ließ sie los, und sie taumelte zurück. Sie wollte es abstreiten, wollte behaupten, es sei nur ein Spiel gewesen, doch dann hörte sie sich mit matter Stimme antworten: „Eine Weile lang half es.“
„Was ist passiert? Was hat dich dazu gebracht, so etwas zu tun?“ Er klang niedergeschlagen, enttäuscht. Enttäuscht von ihr. Er hatte eine sexuell erfahrene, lebenslustige Partyqueen zur Frau gewollt, und was hatte er bekommen?
„Althea …?“ Demos wartete auf eine Antwort, aber sie
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