Julia Extra Band 0313
danach, befriedigt zu werden.
Ja, er würde sie wieder in Besitz nehmen, das wusste sie, als sie das Hauptschlafzimmer betrat. Und in dem unwirklichen Licht des heranziehenden Sturmes lief ihr in dem großen Raum ein erwartungsvolles Prickeln über den Rücken.
Allegra ging zum Fenster und sah auf den Garten hinaus. Donner rollte über den Himmel, vielleicht noch eine Stunde, dann würde der Hurrikan losschlagen. Ihr Blick blieb auf dem wunderschönen alten Badehaus liegen und wanderte dann weiter zu der authentisch restaurierten Maya-Hütte.
Miguel hatte immer alles in seiner Macht Stehende getan, wenn es darum ging, das Erbe der alten Kultur, die seine Vorfahren bei ihrer Ankunft in der neuen Welt fast ausgerottet hatten, zu erhalten. Wäre er doch nur so erfolgreich bei der Erhaltung ihrer Ehe gewesen!
In der Ferne sah sie die Türme der Sisalfabrik aufragen. Sisal, das grüne Gold Mexikos, hatte den Reichtum der Gu-tierrez-Familie begründet. Doch Miguel war der erste Milliardär in der Familie.
Sie wandte den Kopf und schaute zu der alten christlichen Kapelle hinüber. Wie schon Generationen von Gutierrez’ vor ihnen, waren auch Miguel und sie in dieser Kapelle getraut worden.
Und alle seine Vorfahren hatten ihre letzte Ruhestätte auf dem angrenzenden Friedhof gefunden. Wie auch ihre Tochter.
Die Leere, die sie in sich fühlte, nahm ihr den Atem. Ihr Kind …
Mit einem gemurmelten Fluch stürzte sie zum Zimmer hinaus und lief über die Hintertreppe. Lauter Donner begleitete ihre Schritte, der Wind riss an ihren Haaren, sobald sie die Hintertür in der Küche öffnete, drückte gegen ihren Körper, so als wolle er sie ins Haus zurückdrängen.
Doch er würde sie nicht aufhalten. Bis jetzt hatte sie das Grab ihrer Tochter nicht gesehen, und nichts würde ihr diesen Moment nehmen, bevor der Hurrikan sie wieder in das schützende Haus trieb, zurück zu Miguel, seinem düsteren Verdacht und seiner dunklen Leidenschaft.
Allegra rannte über den Rasen hin zu dem Durchlass in der grünen Akazienhecke und stand bald auf dem Familienfriedhof. Der Wind schlug das schmiedeeiserne Tor hinter ihr zu, der scheppernde Klang vibrierte in jeder Faser ihres Körpers nach.
Alte Grabsteine, manche über und über mit Flechten bedeckt, wachten über den ewigen Schlaf von Generationen. Ein großer weißer Marmorengel reckte seine Flügel schützend über ein frisches Grab.
„Cristobel.“ Der Wind trug den Namen fort, der ihr über die Lippen geschlüpft war. Allegra stockte der Atem. Ihr Herz schlug so schnell, dass ihr schwindlig wurde.
Neun Monate des Wartens und der freudigen Aufregung … alles umsonst. Letztlich blieb ihr nichts anderes als das Grab ihres Kindes, dessen Tod sie verschuldet hatte, und das Wissen, dass sie nichts mehr an diesem schicksalhaften Tag würde ändern können.
Sie hatte verloren, was ihr am meisten bedeutet hatte. Es gab nichts mehr, was sie noch verlieren könnte. Vor dem Grab sank Allegra auf die Knie. Tränen verschleierten ihre Sicht, als sie die Inschrift las.
CristobelYolande ManuelaVandohrn y Gutierrez
GeliebteTochter vonAllegraVandohrn und
Miguel Hernando Barrosa y Gutierrez
Donner rollte über ihrem Kopf hinweg. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und las den Rest der Inschrift.
Ein Juwel von unschätzbarem Wert.
Eine würdige Beschreibung, denn nichts auf dieser Welt würde ihr je mehr bedeuten als ihre Tochter. Herzukommen änderte nichts daran.
Es würde lange dauern, bevor sie einen Schlussstrich würde ziehen können. Sie erwartete nicht mehr, dass es schnell gehen würde. Nein, sie brauchte Zeit, bevor sie diesen Abschnitt ihres Lebens hinter sich lassen könnte. Nur blieb im Moment keine Zeit.
Ein Blitz zuckte über den Himmel, ihm folgte nur Sekunden später der Donner. Regen setzte ein, dicke Tropfen prasselten auf den Marmor. Allegra streckte die Hand aus und berührte den weißen Engel. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, ihre Fingernägel scharrten über den kalten Stein, und ihr Kinn sank auf ihre Brust.
„Es tut mir so leid.“
Immer und immer wieder murmelte sie die Worte, bis die strömenden Tränen ihre Stimme erstickten. Doch in ihrem Herzen würde der gequälte Aufschrei auf ewig widerhallen.
Nein, hier würde es nie einen Schlussstrich geben. Sie wollte nicht vergessen, was passiert war. Sie wollte sich immer an die Liebe erinnern, die es zwischen ihr und Miguel gegeben hatte, wollte auf ewig das Gefühl nachempfinden, wie es war, ihre
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