Julia Extra Band 0313
ging zum Fenster. Ein unwirkliches Licht empfing sie, und am Horizont bauschten sich dunkelviolette Wolken. Allegra erkannte die Wolken als düstere Vorboten eines tropischen Gewitters. Der Hurrikan, der laut Vorhersage an der Yucatán-Halbinsel vorbeiziehen sollte, hielt stattdessen direkt auf sie zu. Jetzt ergab das Hämmern Sinn. Das Strandhaus wurde wetterfest gemacht, um dem Schlimmsten standhalten zu können. Sicherlich hatte Miguel das veranlasst. Überlegt und rechtzeitig wie immer.
Eilig zog Allegra sich an. Wie alle anderen auf der Halbinsel würden auch sie sich im Landesinnern in Sicherheit bringen müssen. Ihr Koffer war noch gepackt, schließlich war sie gar nicht erst zum Auspacken gekommen.
Sie lief nach unten und ging davon aus, dass Miguel so bald wie möglich abfahren wollte. Die Ungewissheit, wie es jetzt weitergehen sollte, machte sie nervös. Hier bleiben konnte sie nicht, und nach der Szene gestern Nacht konnte sie auch nicht sagen, ob er sie mitnehmen würde.
Die Schalbretter vor den Fenstern schlossen bereits das Licht aus und machten den Eingangsbereich ebenso düster und drückend wie die Atmosphäre draußen. Ganz zu Anfang ihrer Beziehung hatten sie das schon einmal durchlebt.
Damals hatte er sie mit auf die Hazienda genommen, und seine Mutter hatte sofort vermutet, was Allegra selbst noch nicht gewusst hatte – dass sie schwanger war. Miguels Mutter hatte auch keinen Hehl aus ihrem Unmut gemacht. Sie glaubte, dass Allegra sich mit der Schwangerschaft einen reichen Mann angeln wollte, obwohl Allegra dem Ehevertrag sofort zugestimmt hatte. Die strenge Frau hatte sie nie gemocht, und Allegra hatte es unerträglich gefunden, auf der Hazienda zu leben.
Jetzt schüttelte sie die unerfreuliche Erinnerung ab und betrat die Küche. Miguel stand mit dem Rücken zu ihr und lauschte konzentriert auf die Sturmwarnung im Radio. Ione, der Name, den man dem Hurrikan gegeben hatte, hielt mit Geschwindigkeiten von bis zu 150 Meilen pro Stunde auf die Insel zu.
„Wann wird er auf die Küste treffen?“ Ihre Stimme klang seltsam ruhig angesichts der drohenden Gefahr.
Miguel richtete sich auf. „Im Laufe des Nachmittags. In der nächsten Stunde fahren wir los.“
„Wohin?“ Allegra fürchtete, dass sie die Antwort bereits kannte.
„Hazienda Primero.“
Der palastartige Familiensitz der Gutierrez’. Der Ort, von dem Allegra vor sechs Monaten mit ihrer Tochter geflohen war. Doch warum war es so gekommen?
„Wirst du deiner Mutter sagen, warum wir wieder zusammen sind?“ Ihr grauste vor der Konfrontation.
Seine Miene wurde hart. „Nein. Wir sind verheiratet, das reicht als Erklärung.“
Auch wenn ihre Erinnerung an den Tag, als sie die Hazienda verließ, verschwommen war, so hatte sie doch nie vergessen, welche Kälte Quintilla ihr gegenüber gezeigt hatte. Die Vorstellung, wieder mit dieser Frau unter einem Dach wohnen zu müssen, machte sie unruhig. „Vielleicht sollte ich in Merida bleiben …“
„Nein, du kommst mit mir.“
Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. All ihre Entschlossenheit in Bezug auf den Schlussstrich … Sie war sich bewusst, dass sie das Grab ihres Babys besuchen musste, aber sie hatte endlose Angst davor, welche Emotionen in ihr aufwallen würden, wenn sie tatsächlich vor der letzten Ruhestätte stand. Sie konnte nur hoffen, dass sie danach vielleicht nicht mehr um ihr Kind weinend aus dem Schlaf aufschrecken würde. Vielleicht konnte sie danach endlich mit ihrem Leben weitermachen.
„Denkst du manchmal an sie?“
Er wusste sofort, was sie meinte. „ Sí . Aber ich quäle mich nicht mit etwas, das ich nicht ändern kann.“
Nein, Miguel traf Entscheidungen und hielt sich daran, holte sich vom Leben, was er wollte. Und entledigte sich ebenso entschlossen möglicher Probleme.
Und doch hatte er sich nicht von einer Ehefrau getrennt, der er Untreue unterstellte.
„Wieso hast du eigentlich nicht die Scheidung eingereicht?“, fragte sie.
„Das hätte es dir zu einfach gemacht.“
Sie verstand, was er meinte: Er wollte sie leiden sehen, wollte sie für etwas bestrafen, das sie in Wirklichkeit nicht getan hatte.
„Ich hole deinen Koffer. Je eher wir von hier wegkommen, desto schneller sind wir außer Gefahr.“
Da war sie ganz anderer Ansicht. Sicher, sie würden dem Sturm entkommen, doch in Sicherheit sein? Nicht als Miguels Frau.
Denn sollte sie wieder ihr Herz an ihren unbeugsamen Ehemann verlieren, wäre sie alles, nur nicht außer
Weitere Kostenlose Bücher