Julia Extra Band 0313
Schaufenster der zahlreichen Boutiquen, aber nach einer Weile wurde es ihr zu viel. Sie hatte das Gefühl, Abertausende von Stufen hinauf-und hinuntergeklettert zu sein. Wo in anderen Orten Gassen gewesen wären, gab es hier Treppen!
Schließlich blieb sie stehen und gönnte sich eine Atempause.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte Ricardo sich fürsorglich.
Nein, das war es nicht. Sie fühlte sich heiß und verschwitzt, das Haar klebte ihr am Nacken. Ricardo hingegen sah beneidenswert frisch und fit aus. Na gut, er war ja auch Profisportler! Als solcher hatte er an einer Frau wie ihr – mit deren Kondition es nicht so toll aussah – bestimmt kein Interesse. Das durfte sie nicht vergessen!
Nur der Zufall hatte sie zusammengeführt.
„Lyssa?“ Ricardo umfasste ihren Ellbogen. „Kommen Sie in den Schatten. Warum haben Sie mir nicht gleich gesagt, dass Sie sich nicht wohlfühlen?“
„Mir geht es gut“, behauptete sie und straffte sich. „Mir ist nur heiß, und ich bin müde.“
Tatsächlich war ihr auch leicht übel, aber das fand sie nicht weiter erwähnenswert.
„Wir setzen uns jetzt irgendwo hin und trinken etwas“, schlug Ricardo vor und machte sich auf den Weg.
Es wäre zu viel Mühe gewesen, sich aus seinem Griff zu lösen, also ließ sie sich widerspruchslos zu einem Hotel mit einer schattigen Terrasse führen.
Warum sollte sie sich nicht von Ricardo ein bisschen umsorgen lassen? Noch nie hatte sich ein Mann so um sie gekümmert. Sie fand es gar nicht übel, jetzt verhätschelt zu werden.
Fürsorglichkeit war nicht gleichbedeutend mit Kontrolle. Es war ganz anders als damals mit ihren Brüdern, die bestimmen wollten, wen sie traf. Ricardo schien sich wirklich dafür zu interessieren, wie sie sich fühlte, und tat alles, damit es ihr gut ging.
So etwas kannte sie nicht, und sie genoss es.
Steve hatte sich wenig um ihr Befinden gekümmert. Sie gestand sich jetzt ein, dass sie sich schon viel eher von ihm hätte trennen sollen. Er hatte sie ja kaum zur Kenntnis genommen! Weil er ein Workaholic war, hatte sie sich eingeredet; aber jetzt war ihr klar, dass er gar nicht wirklich mit ihr hatte zusammen sein wollen.
Natürlich hatten sie auch schöne Momente miteinander verlebt, aber die waren selten gewesen. Und immer nur darauf warten, dass wieder eine solche Phase käme, war auch kein Leben.
Seine Reaktion auf ihre Schwangerschaft hatte ihr dann endlich die Augen geöffnet, wie selbstsüchtig er war. Zum Glück war es nicht ihre Art, über verschüttete Milch zu jammern, sonst hätte sie bedauert, so viel Zeit an Steve vergeudet zu haben.
Lieber sah sie optimistisch in die Zukunft. Es würde nicht leicht werden, das Kind allein aufzuziehen, aber sie freute sich trotzdem auf das Baby. Natürlich wäre es besser für das Kind, in einer richtigen Familie aufzuwachsen, aber da das nicht möglich war, würde sie das Beste aus der Situation machen.
Nachdem Ricardo sich versichert hatte, dass sie genug Schatten hatte und bequem saß, bestellte er ihnen frisch gepressten Orangensaft und setzte sich endlich selber.
„Versprechen Sie mir, demnächst sofort zu sagen, wenn es Ihnen nicht gut geht!“, forderte er sie auf, wobei er leicht gereizt klang.
Sie nickte, dann wandte sie sich ab und blickte aufs Meer, ohne die Aussicht richtig wahrzunehmen. Bisher hatte sie gedacht, die Schwangerschaft würde ihre Aktivitäten nicht beeinträchtigen, nun musste sie umdenken.
Sie musste aufpassen, sich nicht zu verausgaben. Es ging ja nicht nur um sie, sondern auch um das Baby, also hatte sie keine Wahl.
Auch wenn Ricardo mich dann nicht nur als ein weibliches, sondern auch als ein weichliches Wesen ansieht, dachte sie selbstironisch.
„Diese Inseln da draußen, auf die Sie gerade schauen, waren der Sage nach die Heimat der Sirenen“, erklärte Ricardo.
Das brachte Lyssas Aufmerksamkeit zurück zu ihrer Umgebung. „Das waren doch die Frauen, die mit ihrem wunderbaren Gesang die Seeleute insVerderben lockten, richtig?“
„Ja, sie kommen in der Sage von Odysseus vor“, bestätigte er.
„Aber heutzutage klingt das, was man Sirene nennt, eigentlich besonders scheußlich“, überlegte sie laut.
Ricardo stimmte ihr amüsiert zu, dann schwiegen sie eine Zeit lang einträchtig.
„Hoffentlich tut Ihnen das Knie nicht vom vielen Treppensteigen weh“, meinte Lyssa nach einer Weile.
„Keine Sorge, dem geht es ausgezeichnet.“
„Wann werden Sie denn wieder Fußball spielen?“, wollte sie weiter
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