Julia Extra Band 0313
Tränen aus. Und dann schüttete sie der verständnisvollen Maria ihr Herz aus und erzählte ihr wirklich alles, auch dass die zukünftigen Großeltern noch nicht Bescheid wussten, dass ihr Exfreund sie verlassen hatte und dass sie plante, die Zukunft allein zu bewältigen.
Letzteres hielt Maria für keine gute Idee. „Sie werden einsam sein, Lyssa!“, warnte sie.
Ja, ich werde einsam sein, dachte Lyssa überwältigt. Wenn sie sich von Ricardo verabschiedete, würde sie wissen, was Einsamkeit wirklich bedeutete!
Und sie würde sich bis an ihr Ende wahrscheinlich fragen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn nicht sie in anderen Umständen, sondern die Umstände andere gewesen wären.
Als Lyssa schließlich nach unten ging, schaute Ricardo gerade auf die Uhr. Er hatte ihr gesagt, es wäre wichtig, früh genug nach Pompeji zu kommen, um die Menschenmassen zu vermeiden, und nun hatte sie sich wegen eines Anfalls von Selbstmitleid verspätet.
„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Ist es jetzt zu spät für Pompeji?“
„Nein, aber Herculaneum schaffen wir nicht.“ Forschend betrachtete er sie. „Geht es dir überhaupt gut genug für diesen Ausflug? Du siehst irgendwie müde aus.“
„Mir geht es bestens“, log Lyssa und hoffte, dass die Übelkeit, wie bisher immer, im Lauf des Morgens völlig verfliegen würde.
„Dann können wir ja los.“
Nachdem er das Gepäck geholt und im Auto verstaut hatte, war es Zeit für den Abschied von seinen Verwandten. Er fiel Lyssa unendlich schwer.
Maria stand schon wieder am Küchentisch und bereitete etwas zu.
„Liebe Maria, ich danke Ihnen ganz herzlich. Für alles“, begann Lyssa. „Ganz besonders für die Kochlektionen.“
Die Ältere strich sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Dann kam sie zu Lyssa, umarmte sie fest und küsste sie auf beide Wangen.
„Wir sehen uns wieder“, versprach sie. „Da bin ich mir ganz sicher, piccina mia .“
Lyssa musste sich beherrschen, um nicht zu weinen. Vor allem, da sie wusste, wie unwahrscheinlich ein Wiedersehen war.
Auch Alberto wirkte etwas bedrückt, als er ihr die Hand schüttelte und sie dann zum Auto begleitete, wo er ihr noch eine schöne Reise wünschte.
„Du hast dich mit Tante Maria ja bestens verstanden“, meinte Ricardo, während er startete. „Ihr seid richtige Freundinnen geworden in der kurzen Zeit.“
Wieder musste sie sich sehr beherrschen, um nicht loszuheulen wie der sprichwörtliche Schlosshund.
„Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich jetzt nicht darüber sprechen“, bat sie mit rauer Stimme.
Ricardo tat ihr den Gefallen. Er ließ ihr sogar einen Moment Zeit, sich zu fassen, bevor er ihr erzählte, die Kinder seiner Cousins hätten die kleinen Hunde auf die schönen Namen Sydney, Melba und Alice getauft.
„Ganz ohne Einflüstern?“ Lyssa musste trotz ihres Abschiedskummers lachen. „Das glaube ich nicht. Aber es sind schöne Namen, die auch zu ausgewachsenen Hunden passen.“
Schade, dass ich die dann nicht mehr sehen kann, dachte sie wehmütig.
Ricardo plauderte weiter, und als sie an der Ausgrabungsstätte ankamen, hatte Lyssa sich wieder gefasst. Auch die Übelkeit war vergangen, und einem interessanten Tag stand nichts mehr im Weg.
Der erste Eindruck nach dem Aussteigen war leider der von extremer Hitze. Wenn ich nicht so getrödelt hätte, wäre mir das erspart geblieben, dachte Lyssa zerknirscht.
Ebenso die vielen Touristen aus aller Herren Länder, die die Stadt füllten wie zu deren Blütezeit. Überall standen Gruppen mit ihren Führern, aber Lyssa war sich sicher, den besten von allen zu haben – ganz für sich allein.
Lächelnd hakte sie sich bei Ricardo unter. „Nur, damit wir uns in dem Gedränge nicht verlieren!“
„Keine Angst, ich passe auf dich auf“, beruhigte er sie. „Das habe ich dir doch versprochen.“
Der Rundgang durch die Ruinen war wie die Reise mit einer Zeitmaschine, fand Lyssa. In den gepflasterten Straßen sah man Spuren, die Karren mit schweren Rädern hier hinterlassen hatten. An den Wänden fanden sich Graffiti genau wie in modernen Städten, und es gab vieleVillen mit bestens erhaltenen Wandmalereien.
Das Eindrucksvollste waren für sie die Gipsabdrücke, die man von den Menschen gemacht hatte, die bei dem großen Ausbruch des Vesuvs in den Straßen ums Leben gekommen waren. Die alles erstickende Asche hatte sie eingehüllt, Regen war gefallen, und die Formen dieser Unglückseligen waren über beinah zweitausend Jahre
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