Julia Extra Band 0316
bekommen, dachte er sich. Falls sie dann noch immer nichts sagte, wusste er auch nicht weiter.
Ihr Weg führte sie also nach oben in das beinah fertig eingerichtete Büro. Cameron öffnete ihr die Doppeltür, die zum Balkon führte, und ließ sie vorangehen. Gespannt beobachtete er ihre Reaktion.
Alice ging über den ungefähr sieben Meter breiten Balkon zur Brüstung und blieb dort regungslos stehen. Sie schien nicht einmal mehr zu atmen. Dann holte sie tief Luft und wandte sich um, ihre Augen glänzten. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, das immer strahlender wurde.
Plötzlich wurde ihm klar, dass sie bisher gar nichts hatte sagen müssen. Er war dumm gewesen, es von ihr zu erwarten. Jeremys ständige Kommentare und Erklärungen gingen ihm inzwischen auf die Nerven. Stumme Bewunderung war dagegen richtig erholsam.
Lächelnd schritt Cameron auf Alice zu und stellte sich neben sie. Gemeinsam blickten sie ins Atrium hinunter, es war leer bis auf einen quadratischen Springbrunnen, zurzeit noch ohne Wasser.
„Soll hier der Ball stattfinden?“, erkundigte sie sich schließlich.
Er nickte.
„Es ist märchenhaft!“, bemerkte sie und ließ den Blick über Einzelheiten wie die weiße, schwarz abgesetzte Stuckdecke gleiten.
Cameron nutzte die Gelegenheit, Alice unauffällig und nun viel genauer als vorhin zu betrachten.
Sie strich mit der Fingerspitze über ihr Ohr, als wolle sie eine Haarsträhne dahinterschieben, was nicht nötig war, da sie die Haare zusammengebunden trug. Noch nie hatte er so rotes Haar wie ihres gesehen! Dabei war offensichtlich, dass sie es nicht färbte, und das gefiel ihm.
Alice war nicht eigentlich hübsch – wenn man darunter den Barbietyp mit Grübchen, Stupsnase und babyblauen Augen verstand. Sie war sehr schlank, beinah zerbrechlich, aber trotzdem feminin. Anmutig wie eine Tänzerin. Elegant, trotz der wenigen Sommersprossen auf der geraden, schmalen Nase.
Nein, hübsch war sie nicht, sondern schön. Besser gesagt, sie könnte eines Tages schön sein, wenn sie es sich gestattete. Noch immer war sie wie ein Schmetterling, der in seinem Kokon träumte und aufs Schlüpfen wartete.
„Könnten wir nach unten gehen, damit ich mich genauer umsehen kann?“, fragte sie schließlich ganz unbefangen. Ihre Augen funkelten vor Unternehmungslust.
Wieder nickte er und begleitete sie ins Erdgeschoss, während er diesmal kein Wort fallen ließ. Sie sollte ihre Ideen ungestört entwickeln. Überhaupt mochte er keine Menschen, die unablässig schwatzten. Daran sollte Jeremy öfter denken, wenn ihm sein Job lieb war!
Unten im Atrium angekommen, setzte der Architekt schon wieder zu einer seiner langatmigen Erklärungen an, aber Cameron schickte ihn weg, weil er nur noch störte.
Alice war plötzlich so energiegeladen, als hätte sie sich an einen Generator angeschlossen. Sie eilte von einer Ecke zu anderen, sprudelte ihre Ideen förmlich heraus und zog immer wieder Skizzen und Notizen aus dem witzigen Schulranzen.
Ja, das habe ich mir von ihr erwartet, dachte Cameron: Fantasie. Begeisterung. Leidenschaft …
Es würde ein Vergnügen werden, mit ihr zusammen den Eröffnungsball zu organisieren!
Und bevor er wusste, wie ihm geschah, befand er sich neben ihr und diskutierte ihre Pläne und Vorschläge ebenso lebhaft wie sie.
Als Alice am nächsten Abend nach Hause kam, erwartete sie dort ein dickes Paket. Es enthielt einen Ordner sowie eine kurze Nachricht, dass Cameron ihr hiermit Jennies Aufzeichnungen schicke, mit denen sie hoffentlich etwas anzufangen wisse. Außerdem wünschte er ihr gutes Gelingen.
Zum Glück war Jennie mit der Planung des Eröffnungsballs schon viel weiter vorangeschritten, als sie gedacht hatten. Es gab Listen von Partylieferanten, von denen einige abgehakt waren, außerdem den Brief einer Band, in dem das Engagement für den Eröffnungsabend bestätigt wurde, weiter Adressen und Telefonnummern verschiedener Floristen. Es sollte ganz klar ein spektakuläres Ereignis werden.
Nur fehlte sozusagen noch der Clou, der dem Abend den richtigen Pfiff verlieh. Während der Modenschau wollten sie nicht einfach die Models der Reihe nach über den Laufsteg schicken, sondern die Show inszenieren wie ein Ballett oder Theaterstück.
Alice überlegte hin und her. Immer wieder zog sie Jennies Aufzeichnungen zu Rate, die an den Rändern mit Kritzeleien verziert waren, wie man sie unbewusst beim Nachdenken zeichnete. Es waren auffallend viele Herzen und verschlungene Eheringe dabei,
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