Julia Extra Band 0316
Danach würde sie diesen Tag aus ihrem Gedächtnis streichen.
Christian saß ganz dicht bei ihr. Er wirkte gefasst, aber sehr aufmerksam. Wie gut er sich unter Kontrolle hatte, rührte sie und machte sie stolz. Sie selbst hatte sich vorgenommen, sich nicht mehr einschüchtern zu lassen. Die Zeit war vorbei.
Durchs Fenster beobachtete sie, wie die malerischen Straßen von Greenwich Village in den Broadway übergingen. Irgendwann hielten sie sich rechts Richtung First Avenue und erreichten bald das UN-Hauptquartier. Der Fahrer bog in eine Seitenstraße, in der sich ein Konsulat an das andere reihte, und hielt vor einem eleganten Stadthaus mit steilem Treppenaufgang und gewundenem schmiedeeisernem Geländer.
Phoebe verließ mit Christian an der Hand den Wagen und folgte den Beamten ins Amarnesische Konsulat.
„Mrs. Christensen, Sie werden bereits erwartet“, begrüßte sie drinnen eine blonde Frau in einem dunklen Kostüm, die sich als Nora vorstellte. Dann sah die Beamtin zu Christian, der die Hand seiner Mutter noch fester drückte. „Ich kann das Kind nehmen.“
Augenblicklich erstarrte Phoebe. „Niemand nimmt meinen Sohn“, erklärte sie.
Hilfe suchend blickte die Frau zu Erik Jensen, der hinter Phoebe stand.
„Oben haben wir einen Raum mit allem Komfort“, informierte er sie ruhig. „Dort liegen auch Spielsachen. Vielleicht wäre es besser …“
Phoebe war hin- und hergerissen. Einerseits wollte sie Christian nicht aus den Augen lassen, er sollte aber auch nicht Zeuge eines Streitgesprächs werden, falls ein übereifriger Bediensteter ganz sichergehen wollte, dass sie verstand, dass sie keinen Cent von Anders erben würde.
„Na gut, aber ich erwarte, dass man ihn sofort zu mir bringt, wenn er den Wunsch äußerst, mich zu sehen.“
Jensen nickte, und Phoebe wandte sich an Christian. „Bist du …“
Ihr Sohn drückte die Schultern durch und erklärte tapfer: „Ich komme schon klar, Mom.“
Die Frau nahm Christian mit, und Phoebe folgte Jensen in einen der Empfangsräume. Dort ließ er sie allein. Schon wieder so ein goldener Käfig, dachte sie, als sie sich in dem Zimmer umsah. Genau wie vor sechs Jahren, als die Fürstenfamilie sie zu sich zitiert hatte. Damals hatte sie sich einschüchtern lassen. Das würde ihr jetzt nicht mehr passieren.
In ihrem Rücken hörte sie das Klicken der Klinke. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste Phoebe, wen man geschickt hatte, um sich um sie zu kümmern. Und plötzlich hatte sie doch Angst.
Nur ganz langsam drehte sie sich um, dabei schlug ihr Puls stetig schneller. In einem Winkel ihres Herzens hegte sie die Hoffnung, dass sie sich irrte und er es nach all den Jahren nicht schon wieder sein konnte.
Aber er war es. Natürlich. Leo Christensen stand auf der Türschwelle, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen und ein Glitzern in den Augen.
3. KAPITEL
„Was tun Sie denn hier?“, fragte Phoebe.
Leo schlenderte ins Zimmer und zog dabei eine Augenbraue hoch. „Ist das nicht das Konsulat meines Landes?“
„Doch, natürlich. Vielleicht sollte ich es anders formulieren: Was mache ich hier?“
„Das ist tatsächlich eine interessante Frage“, murmelte Leo und klang dabei genauso sanft und gefährlich wie vor sechs Jahren. Er hat sich überhaupt nicht verändert, dachte Phoebe. Die gleichen Schlafzimmeraugen, die gleiche sinnliche Ausstrahlung, auch wenn er heute einen schwarzen Anzug trug. Wobei sie seinen Zügen keine Trauer anmerkte.
„Wie sind Sie so schnell hierhergekommen? Waren Sie nicht auch in Paris auf der Beerdigung?“
„Ja, aber dank der Zeitverschiebung kann man sozusagen zur gleichen Uhrzeit in New York ankommen.“
Ihr Versuch zu lächeln misslang. „Bin ich so wichtig?“
„Nein.“ Leo wandte sich einem kleinen Tischchen mit zahlreichen alkoholischen Getränken zu. „Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Sherry oder einen Brandy vielleicht?“
„Ich will nichts trinken, ich will wissen, warum ich hier bin, und dann nach Hause fahren.“
„Nach Hause“, wiederholte Leo nachdenklich und schenkte sich einen Brandy ein. „Wo genau ist das?“
„In meinem Apartment –“
„Diese heruntergekommene Wohnung mit nur einem Schlafzim…“
„Ich finde sie ganz und gar nicht heruntergekommen“, fiel ihm Phoebe ins Wort. „Und ich verstehe auch nicht, warum wir das besprechen müssen. Ich dachte, ich wäre herbestellt worden, um einige Papier zu unterzeichnen.“
„Was denn für Papiere?“
„Solche, in denen ich auf
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