Julia Extra Band 0316
oder sogar Eifersucht mitschwangen. Als Phoebe zu Leo sah, stellte sie entsetzt fest, wie unbewegt er den Blick seines Cousins erwiderte.
„Was willst du von Phoebe?“, fragte Anders schlecht gelaunt.
„Nichts, offensichtlich liebt sie dich“, antwortete Leo mit aufgesetztem Lächeln.
„Allerdings.“ Anders legte einen Arm um Phoebe. Dankbar schmiegte sie sich an ihn. Trotzdem war sie sich nach wie vor Leos unbeirrtem Blick bewusst. „Ich weiß nicht, warum du mit ihr gesprochen hast, aber wir sind entschlossen, zusammenzubleiben und –“
„Und diese Entschlossenheit ist wirklich bewundernswert. Ich werde dem Fürst davon Mitteilung machen.“
Anders’ Gesichtsausdruck wurde unnachgiebiger. Er schob die Unterlippe vor und wirkte mit einem Mal wie ein schmollender Sechsjähriger. „Wie du willst. Falls er von dir verlangt haben sollte, mich umzustimmen …“
Bei Leos Lächeln überlief Phoebe eine Gänsehaut. Darin lag keinerlei Freundlichkeit oder Zuneigung.
„Offensichtlich wird mir das nicht gelingen. Was gibt’s da also noch zu sagen?“
„Nichts.“ Anders wandte sich an Phoebe. „Es wird Zeit. Hier haben wir nichts mehr verloren. Wenn wir die nächste Fähre nach Oslo nehmen, erreichen wir vielleicht noch den Nachmittagszug nach Paris.“
Phoebe nickte erleichtert, hätte aber mehr Begeisterung verspüren sollen. Als sie das Zimmer verließ, war sie sich Leos unnachgiebigem Blick bewusst und dem Gefühl, das von ihm ausging und sich eigenartigerweise wie Bedauern anfühlte.
2. KAPITEL
Sechs Jahre später
Es war ein grauer Novembertag in Paris. Der Sprühregen legte sich wie eine Decke auf die adligen Trauergäste, sodass sie bei Phoebe zu Hause am Bildschirm verschwommen wirkten und kaum zu erkennen waren.
Nicht, dass sie jemanden hätte wiedererkennen können, dachte sie, während sie überlegte, welche Nudeln sie heute Abend kochen sollte. Von Anders’ Familie hatte sie nur seinen Cousin Leo kennengelernt und danach nie wieder einen Fuß in sein Heimatland gesetzt.
Das war jetzt sechs Jahre her … eine Ewigkeit, wenn man bedachte, wie sehr sich ihr Leben seitdem verändert hatte. Mit Anders war sie genau einen Monat verheiratet gewesen. Nun war er tot, bei einem Autounfall unter Alkoholeinfluss ums Leben gekommen. Sie schüttelte den Kopf, unfähig, mehr als nur ein wenig Bedauern für den Mann zu empfinden, der genauso schnell wieder aus ihrem Leben verschwunden war, wie er darin aufgetaucht war. Zumindest verdankte sie diesem verrückten Lebensabschnitt ein wundervolles Geschenk: Christian.
„Ich mag am liebsten grüne Nudeln!“ Der Junge zog an ihrem Ärmel. „Mom, hörst du mir überhaupt zu?“
„Entschuldige, Schatz.“ Lächelnd sah Phoebe zu ihm hinunter. Dabei fiel ihr auf, dass das Wasser für die Nudeln längst kochte. Sie musste sich wieder auf die Gegenwart konzentrieren. Schließlich hatte sie seit Jahren nicht mehr an Anders gedacht. Manchmal hätte man meinen können, dass die kurze, bedauernswerte Romanze mit ihm gar nicht stattgefunden hatte. Trotzdem spülte sein Tod einige Erinnerungen in ihr hoch, besonders dieses schreckliche Verhör im Palast. Nach wie vor erinnerte sich Phoebe an den Blick von Leo Christensen, als er sie berührt hatte … und an ihre Reaktion darauf.
Betroffen stellte sie fest, dass sie sich besser an Leo erinnerte als an Anders. Rasch sah sie sich in der kleinen Küche um, als fürchtete sie, Leo könnte dort irgendwo aus dem Schatten treten. Dann musste sie über ihre eigene Dummheit lachen. Der Mann war Tausende von Meilen entfernt. Sie und Anders hatten sich in aller Stille getrennt, nur kurz nachdem Leo ihr fünfzigtausend Dollar für genau diese Trennung angeboten hatte. Weder von ihm noch von Anders hatte sie seitdem wieder etwas gehört. Sie war mit Christian nach New York gezogen, hatte mit der Unterstützung ihrer Freunde und ihrer Familie ein neues Leben begonnen und den Zwischenfall in Skandinavien in den hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verbannt. Doch jetzt kehrten all die unliebsamen Erinnerungen zurück.
Abrupt stellte Phoebe den Herd aus. „Wie wär’s mit Pizza, Christian?“
Der Junge war begeistert, und Phoebe holte die Jacken. „Komm, Schatz, lass uns zum Italiener um die Ecke gehen.“
Als es klopfte, waren Mutter und Sohn schon fast an der Tür und sahen einander erschrocken an. Merkwürdig, dachte Phoebe, wie sie gleich gewusst hatten, dass es jemand Fremdes war. Dreimal hatte es laut geklopft,
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