Julia Extra Band 0316
jemanden zu kaufen, Phoebe! Vor sechs Jahren wolltest du vielleicht das Geld nicht nehmen, aber mich hättest du genommen.“ Und dann, als wäre er nicht schon deutlich genug geworden, ergänzte Leo: „Ich hätte dich verführen können, Phoebe. Es wäre ganz leicht gewesen. Ich hätte dich dazu bringen können, dass du ihn verlässt.“
„Warum hast du es dann nicht getan?“, erwiderte sie mit hochroten Wangen.
„Weil ich wollte, dass Anders geht“, erklärte er voller Selbstverachtung. „Ich dachte, vielleicht würde mich das von ihm befreien. Aber natürlich tat es das nicht. Ich mag danach zwar der rechtmäßige Thronfolger gewesen sein, aber Nicholas hat nie vergessen, wer eigentlich Fürst hätte werden sollen. Und ich habe es auch nicht vergessen.“ Er wandte sich ab, dabei glühte der Zorn, den er zweifellos gegen sich selbst richtete, regelrecht. „So, jetzt weißt du, was für ein Mensch ich bin. Mich hat der Hass dermaßen zerfressen, dass da kein Platz mehr für Liebe ist.“
„Der Hass oder deine Schuldgefühle?“
Leo zuckte mit den Schultern. „Das ist doch egal.“
„So, findest du?“ Dabei fragte Phoebe sich, ob er Anders überhaupt gehasst hatte. Sie dachte an die strengeren Gesetze für Alkoholmissbrauch am Steuer und das Zentrum für Lungenkrankheiten in Njardvik. Beide verstand sie als eine Art Wiedergutmachung für die Vergangenheit, für Lebensumstände, die Leo nicht hatte beeinflussen können, aus denen aber für ihn und seine Lieben Folgen erwachsen waren, die er gern ungeschehen gemacht hätte. Er hätte so gern Verantwortung gezeigt, indem er seine Mutter vor der Ausweisung und Anders vor seiner ausschweifenden, auf Risiko ausgelegten Lebensweise bewahrt hätte. Aber Leo war viel zu jung gewesen und trug keine Schuld an dem, was geschehen war.
„Du bist nicht verantwortlich für Anders gewesen, Leo!“, beschwor ihn Phoebe.
„Doch, ich war der Ältere.“
„Na und?“
„Es war meine Pflicht, auf ihn aufzupassen!“
„Hat man dir das gesagt? Solltest du die Hand schützend über seinen Kopf halten und seine Frauengeschichten in Ordnung bringen?“
„Jemand musste es doch machen“, erwiderte Leo.
Phoebe schüttelte den Kopf. „Vielleicht war man hier im Palast der Meinung, dass du derjenige sein solltest. Aber Anders ist, so wie jeder andere Mensch auch, ganz allein für sein Handeln verantwortlich gewesen. Er hat den Weg eingeschlagen, der ihn so früh zu einem tragischen Ende geführt hat.“
„Ich habe ihn nie aufgehalten, obwohl ich es hätte tun sollen.“
„Du meinst, es ist dir nie gelungen, ihn aufzuhalten“, korrigierte sie ihn.
„Das kommt doch aufs Selbe raus.“
„Ich denke nicht.“ Phoebe sah ihm direkt in die Augen. „Ich mache dir keinen Vorwurf, Leo.“ Sie bemühte sich, ruhig und sachlich zu bleiben. Dabei hatte sie furchtbare Angst, dass sie ihn jetzt doch noch verlieren könnte – an die Vergangenheit, die längst abgeschlossen sein sollte. „An deiner Stelle würde ich Anders auch hassen. Aber ich glaube, vielmehr als ihn zu hassen, hast du verabscheut, was er getan hat und was aus ihm geworden ist. Du konntest es nicht ertragen, wie er sein Leben vergeudet hat, obwohl ihm alles in die Wiege gelegt worden ist.“
„Ich hätte ihm helfen sollen“, beharrte Leo. „Ich hätte –“
„Wie denn? Anders hätte das niemals zugelassen.“ Sie atmete tief durch.
„Er hasste mich auch, weil er wusste, dass ich ihn hasste“, sagte Leo nun leise.
„Vielleicht hat er dich auch nur gehasst, weil man euch nie die Möglichkeit gegeben hat, euch zu lieben. Schon als kleine Jungen hat man euch in Rollen gezwungen, die ihr unmöglich ausfüllen konntet. Ihr habt nie die Chance bekommen, eine normale Beziehung aufzubauen.“
„Das stimmt“, meinte Leo nach eine Weile, „aber das ändert nichts daran, was –“
„Was für ein Mensch du bist? Ich weiß, was du für ein Mensch bist, Leo.“ Er schüttelte den Kopf, aber Phoebe war noch nicht fertig, noch lange nicht. „Weißt du, was ich glaube, Leo?“, fragte sie leise. „Ich glaube, was du mir erzählt hast, macht dich eher zu einem guten als zu einem schlechten Menschen. Du hast es verabscheut, wie Anders sein Leben verschleudert hat, und trotzdem hast du dein eigenes für ihn geopfert.“
„Aber nur, weil –“
„Das Warum ist egal“, fiel sie ihm ins Wort. „Es ist sogar egal, was du dir dabei gedacht hast. Nur was du getan hast zählt, Leo, für deinen Cousin,
Weitere Kostenlose Bücher