Julia Extra Band 0318
Leben gekommen, als er siebzehn gewesen war. Für die Jugendfürsorge war er zu alt gewesen, aber noch zu jung, um die Erziehung und Versorgung seiner vierzehnjährigen Schwester Carly zu übernehmen. Er ging zu den Marines, sie kam in ein Kinderheim. Er wusste nur zu gut, dass er das glücklichere Los gezogen hatte.
Mit fünfzehn war Carly ein zorniges Mädchen voller Schmerz, mit sechzehn rebellierte sie gegen alles und jeden, und mit siebzehn wurde sie schwanger. Was dem Schmerz und der Rebellion keinen Abbruch tat.
Kyle wuchs in kaputten Beziehungen und heruntergekommenen Stadtvierteln auf. So lange Ben im Ausland war, konnte er nur hilflos zusehen, wie die beiden für eine Zeit lang sogar obdachlos waren. Und auch nach seiner Rückkehr in die Staaten weigerte sich Carly, seine Hilfe anzunehmen. Sie hatte Ben nie verziehen, dass er zur Armee gegangen war und sie damit in ihren Augen im Stich gelassen hatte.
Jetzt lag Carly im Sterben. Obwohl sie erst achtundzwanzig war, zahlte sie nun schon den Preis für das harte und leidvolle Leben, das sie geführt hatte.
So stand Ben plötzlich vor einer schwierigen Entscheidung. Abgesehen von den Problemen mit Carly lief sein Leben nahezu perfekt. Mit seiner Firma „Garten Eden“ hatte er eine profitable Marktlücke entdeckt. Er gestaltete die Gärten gut betuchter Hausbesitzer, die in den wohlhabenden Vororten von Morehaven im Bundesstaat New York lebten. Sein Geschäft florierte – mehr, als er je zu träumen gewagt hätte.
Vor einem Jahr hatte er sich in Cranberry Corners, einem jener reichen Vororte, ein Haus gekauft. Von hier waren es dreißig Minuten Autofahrt bis in die heruntergekommene Innenstadt von Morehaven, wo Kyle und Carly gewohnt hatten. Zwischen den beiden Orten schienen Welten zu liegen.
Ben war auf die „handfesten“ Arbeiten der Gartengestaltung spezialisiert, das Planen und Bauen von Terrassen, Holzbohlenflächen, Kaminen und Gartenküchen. Er sorgte dafür, dass ein Garten reich und schick aussah. Es war schwere körperliche Arbeit, aber das störte ihn nicht, ganz im Gegenteil. Harte Arbeit lag ihm, da er vor Energie strotzte und es genoss, seinen Körper zu fordern und ihn in Form zu halten.
Wenn er nicht arbeitete, traf er sich oft mit seinen Kumpeln, von denen er einige schon seit der Highschool kannte. Genau wie er genossen sie ihr freies Leben als Single und ihren beruflichen Erfolg in vollen Zügen.
Sollte er all das nun aufs Spiel setzen, indem er seinen Neffen Kyle bei sich aufnahm? Konnte er andererseits den armen Jungen der Jugendfürsorge überlassen, demselben System, an dem Carly zerbrochen war?
Ben betrachtete sich als typisch männlich – selbstsüchtig, gefühllos, oberflächlich. Und er war sogar verdammt stolz darauf. Umso mehr erstaunte es ihn, dass ihm die Entscheidung leicht fiel. Manchmal muss ein Mann eben tun, was ein Mann tun muss. In diesem Fall hieß das, seinen Neffen bei sich aufzunehmen.
Nicht, dass Kyle oder seine Schwester ihm dafür gedankt hätten. Aber das hatte er auch nicht erwartet.
Schließlich öffnete Ben den Brief. Miss Maple schrieb, dass Kyle mit seinem Verhalten permanent den Unterricht störe und dass ein Treffen mit Ben daher dringend notwendig sei.
Wenn Miss Maple wusste, wie man Kyle besseres Benehmen beibringen könnte, war Ben nur zu gern bereit, sich mit ihr zu treffen. Seine eigene Methode, die Armeemethode, erschien ihm bei einem Elfjährigen, dessen Mutter im Sterben lag, allzu hart. Aber leider fiel ihm auch nichts Besseres ein. Wie sollte er mit diesem Jungen umgehen, der ständig vorlaut, unfreundlich und streitsüchtig war? Und was konnte er gegen Kyles unterschwellige Feindseligkeit tun?
Dummerweise war der Termin für das Treffen mit Miss Maple bereits vor einer Viertelstunde gewesen.
„Kyle?“, rief er in den Flur. Keine Antwort. Er ging zu Kyles Zimmer.
An der Tür blieb er für einen Augenblick stehen. Das Zimmer war ursprünglich sein Fitnessraum gewesen, komplett ausgestattet mit Trainingsgeräten, wandmontiertem LCD-Fernseher und teurer Surround-Stereoanlage. Nun stand alles im Keller, nur den Fernseher und die Anlage hatte er für seinen Neffen dagelassen.
Kyle lag auf seinem ungemachten Bett. Unter ihm sah man die Cowboy-Bettwäsche, die Ben zusammen mit dem extrabreiten Bett für ihn gekauft hatte, als feststand, dass Kyle zu ihm ziehen würde.
Nach einem abschätzigen Blick auf die Bettwäsche hatte Kyle sie als „Babykram“ bezeichnet. Als Ben seinen
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