Julia Extra Band 0318
schließlich folgte sie nur ihrem Beispiel. Ihre Eltern führten genau die Art von Beziehung, die sich selbst wünschte: solide und doch voll wilder Romantik, selbst nach vierzig Jahren.
Nachdem ihre virtuelle Affäre in der alles andere als virtuellen Katastrophe geendet hatte, besann sie sich auf ihre wahre Natur, und das mit Nachdruck. Reife, Rationalität, Professionalität und Kontrolle – das waren ihre Stärken. So war sie immer gewesen, bevor sie sich dazu hatte verleiten lassen, den Kopf zu verlieren. Diese Eigenschaften machten sie zu einer vorbildlichen Lehrerin, und zu ihnen würde sie nun mit Überzeugung zurückkehren.
Beth würde sich einzig und allein auf die Schule konzentrieren. Ihre Liebe und Leidenschaft wollte sie darauf verwenden, dass ihre Schüler sich ihr Leben lang gern an den Unterricht bei ihr zurückerinnerten. Und sie würde für immer Single bleiben! Doch die Begegnung mit Ben Anderson hatte sie verunsichert. War ihre Selbstbeherrschung nicht reine Illusion? Sollte ein Mann wie er je ihre Lippen berühren, könnte sie keine Garantie dafür geben, dass sie die Kontrolle nicht bereitwillig aufgab, um sich ihm ganz und gar hinzugeben.
Als wäre diese lustvolle Schwäche an sich nicht schon beschämend genug, war Beth fast sicher, dass Ben Anderson sie bemerkt hatte. Sie las es in seinen Augen und dem leichten Lächeln, das um seine Lippen spielte. Und hatte er ihre Hand nicht ein kleines bisschen zu lange berührt, als er ihr die Visitenkarte mit seiner Handynummer gegeben hatte?
Mit Sicherheit hatte Ben Anderson schon Tausende von Frauenherzen erobert. Und sie alle gebrochen zurückgelassen, darauf würde Beth wetten.
Als Ben ihr seine Karte gegeben hatte, damit sie ihn notfalls wegen Kyle anrufen könnte, schien er überzeugt zu sein, dass sie sich bald unter irgendeinem Vorwand bei ihm melden würde.
Und hier stand sie nun und wählte seine Nummer! Beth ärgerte sich. Dabei war es doch wirklich ein Notfall! Noch mehr ärgerte sie sich darüber, dass ein kleiner Teil von ihr den Ernst der Situation komplett ignorierte und nur seine Stimme hören wollte. Hatte er wirklich diese wahnsinnig sexy Stimme wie in ihrer Erinnerung? Kein Mensch konnte so sexy klingen!
O doch.
Als Ben antwortete, zog seine angenehm tiefe Stimme Beth augenblicklich in ihren Bann.
Im Hintergrund dröhnte eine Maschine. Beth sagte: „Mr. Anderson, Kyle ist verschwunden.“
„Wie bitte? Ich kann Sie nicht hören!“
„Kyle ist weg!“, schrie sie ins Telefon, genau in dem Moment, in dem die Maschine abgestellt wurde.
Einen Moment herrschte Schweigen. Nervös beeilte sie sich, etwas zu sagen. Die ruhigen und bedachten Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, waren verschwunden. Warum lasse ich mich von ihm so nervös machen, dachte sie verärgert.
So knapp wie möglich erzählte sie Ben von dem Frosch. „Und dann ist er abgehauen. Ich habe überall nachgesehen, aber ich kann ihn nicht finden.“
„Danke, dass Sie mir Bescheid sagen“, erwiderte Ben ruhig. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kümmere mich darum.“
Dann legte er auf. Sie schwankte zwischen Bewunderung für seine ruhige und sichere Art und Verärgerung darüber, dass sie sich tatsächlich beruhigt fühlte, nur weil er gesagt hatte, sie solle sich keine Sorgen machen.
Genau so war er. Unmöglich, ihn sich vorzustellen, wie er einen Zaun strich. Aber wenn man mit dem Rücken zur Wand stand und der Feind mit gezücktem Messer auf einen zukam, war Ben der Mann, den man sich an seiner Seite wünschte.
Was waren das nur für idiotische Gedanken? Was wusste sie schon von ihm? Sie hatte ihn doch erst einmal getroffen und einmal seine sexy Stimme am Telefon gehört. Trotzdem sagte ihr ein Gefühl, dass sie recht hatte. Wenn das Schiff sank, wäre er derjenige, der einen ins Rettungsboot tragen würde.
Und derjenige, der sie dann zu einer einsamen Insel rudern würde.
Wie mochte es wohl mit Ben Anderson auf einer einsamen Insel sein? Wie albern von ihr! Trotzdem war diese Vorstellung stark genug, um für einen Moment zu vergessen, dass ein Schüler aus ihrer Obhut verschwunden war. Stark genug auch, um sie daran zu erinnern, dass solche Fantastereien sie schon einmal in Schwierigkeiten gebracht hatten.
Eine Stunde später war die Schule zu Ende. Beth sah zu, wie die Schüler in buntem Durcheinander durch den Flur nach draußen strömten, als Ben die Schule betrat. Der Strom der Kinder floss links und rechts an ihm vorbei. Er überragte
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