Julia Extra Band 0318
hören.“
Der Widerspruch zwischen seinen Worten und seiner todernsten Miene war so auffällig, dass Marianne unwillkürlich lachen musste. „Wirklich, Mr. de Souza, Sie sollten keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Ich mache das jetzt seit über einem Jahr und bin bisher noch nie in eine schwierige Situation geraten.“
Die Kellnerin brachte ihnen den bestellten Kaffee und Kuchen, und Eduardo wartete schweigend, bis sie wieder allein waren. Dann zog er eine Geschäftskarte aus seiner Brieftasche, reichte sie Marianne und sagte: „Für den Fall, dass Sie irgendwann einmal etwas brauchen.“
Sekundenlang starrte sie verständnislos auf die Karte, während völlig unerwartet die widersprüchlichsten Emotionen auf sie einstürmten. „Was sollte ich wohl von einem völlig Fremden brauchen?“, stieß sie heftig hervor und spürte entsetzt, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Anscheinend hatten die Ereignisse der letzten Zeit sie weit tiefer verstört, als ihr bewusst gewesen war.
„Einen Job zum Beispiel“, schlug er ruhig vor. „Und da wir jetzt hier zusammensitzen und miteinander reden, hoffe ich, nicht länger ein Fremder für Sie zu sein. Sollten Sie also eine Beschäftigung in Erwägung ziehen, die Ihnen ein ausreichendes Einkommen, ein Dach über dem Kopf und regelmäßige gesunde Mahlzeiten verschafft, lassen Sie es mich wissen.“
„Und was für eine Beschäftigung wäre das?“ Um ihr widerstrebendes Interesse an seinem Angebot zu kaschieren, sah Marianne aus dem Fenster in den bleigrauen Himmel, der noch mehr Schnee und Hagelschauer verhieß. Unwillkürlich erschauerte sie.
„Ich brauche eine Haushälterin“, eröffnete Eduardo ihr. „Zurzeit beschäftige ich eine Reinigungsfirma, und mein Diener Ricardo kümmert sich um meine persönlichen Bedürfnisse. Aber nachdem ich jetzt fast ein Jahr hier lebe, ist mir klar geworden, dass wir noch eine zusätzliche Hilfe im Haus brauchen. Denken Sie darüber nach und rufen Sie mich an, falls Sie einen Versuch wagen wollen. Mein Haus liegt zwar etwas abgelegen, aber wenn Ihnen das nichts ausmacht und Sie eine schöne Aussicht zu schätzen wissen, werden Sie bestimmt nicht enttäuscht sein.“
Ein skeptischer Ausdruck trat in Mariannes haselnussbraune Augen. „Und Sie wollen mir einfach so diesen Job geben, ohne zu wissen, ob ich dafür überhaupt qualifiziert bin?“
Er zuckte lässig mit den breiten Schultern. „Ich habe den Eindruck, dass Sie eine sehr selbstständige junge Frau sind, die schnell lernt und Dinge erledigt, ohne viel Wind darum zu machen. Mit anderen Worten, ich bin sicher, dass Sie der Aufgabe absolut gewachsen sind.“
„Sind Sie Fremden gegenüber immer so vertrauensselig?“, forderte Marianne ihn heraus. „Wenn ich mich nun an Ihrem Silber oder einem kostbaren Familienerbstück vergreife?“
Unglaublicherweise umspielte ein echtes Lächeln Eduardos strenge Lippen, und in seinen hellblauen Augen blitzte es kurz auf. Die Wirkung war spektakulär. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Marianne einen völlig anderen Mann vor sich. Einen warmen, humorvollen und überaus anziehenden Mann, unter dessen Blick ihr auf einmal so heiß wurde, als hätte er sie tatsächlich berührt.
„Würde ein Mädchen, das ohne zu zögern eine Fünfzigpfundnote zurückgibt und darum bittet, sie den Obdachlosen zu spenden, seinem Arbeitgeber auch nur eine Brotkrume stehlen?“ Er schüttelte langsam den Kopf und seine Miene wurde wieder ernst. „Ich glaube nicht.“
Um ihre Stimme wieder in den Griff zu bekommen, räusperte Marianne sich. „Ihre noble Meinung ehrt mich, und Ihr Jobangebot klingt wirklich verlockend, Mr. de Souza. Aber ich denke, ich bin für eine Veränderung noch nicht bereit. Solange uns also kein Blizzard heimsucht, werde ich auf absehbare Zeit weiter auf der Straße singen.“
Zwanzig Minuten später gingen sie auseinander. Mit heftig klopfendem Herzen sah Marianne Eduardo nach, wie er die Straße hinunterging. Sie dachte an sein überraschendes Angebot und fragte sich, warum sie sich so elend fühlte, weil sie es abgelehnt hatte.
Lag es an der Melancholie oder Traurigkeit, die sie hinter seiner beherrschten Fassade erspürt hatte?
Oder hing es mit seiner Gehbehinderung zusammen?
Marianne hätte es nicht sagen können, aber es fühlte sich wie ein starkes und sehr unnachgiebiges Ziehen in ihrem Innersten an.
Warum habe ich das nur getan, fragte Eduardo sich erneut.
Als er das seltsam zwingende Bedürfnis
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