Julia Extra Band 0318
zuckte der Arzt die Schultern und deutete ein Lächeln an. „Es war nur ein Vorschlag, Mr. de Souza, nichts weiter. Und bitte hören Sie auf meinen Rat und gehen Sie vorsichtig mit Ihrem Bein um. Ich empfehle einen zwanzigminütigen Spaziergang pro Tag. Wenn es sein muss, eine halbe Stunde, aber auf keinen Fall mehr. Sollte irgendetwas sein, können Sie mich jederzeit anrufen. Bis zum nächsten Mal dann. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Dr. Powell. Danke nochmals, dass Sie an einem Abend wie diesem zu mir herausgekommen sind. Und … fahren Sie vorsichtig.“
Wie so oft, wenn er nicht einschlafen konnte, versuchte Eduardo auch in dieser Nacht, sich die kritischen Stunden bis zum Morgengrauen mit einer Komödie aus den vierziger Jahren zu vertreiben. Ausgestreckt auf dem bequemen Ledersofa im Wohnzimmer sah er dem Treiben der Figuren auf dem großen Flachbildschirm zu und döste vor sich hin, während ihm immer wieder brennend der Schmerz durch sein verletztes Bein schoss.
Als er erkannte, dass seine bewährte Methode diesmal nicht funktionieren würde, schaltete er den Fernseher aus. Es war, als würde er ständig in einen schwarzen Abgrund hinab starren, vor dem es kein Entrinnen gab. Als wäre jede Hoffnung, eines Tages wieder ans Licht zu treten oder Wärme zu spüren, für immer verloren. Voller Bitterkeit erkannte er, dass selbst die kleine Straßensängerin mit ihrem Leben von der Hand in den Mund besser dran war als er mit seinem immensen Reichtum.
Seltsam, dass er so fixiert auf sie war.
Ihr Verhalten ihm gegenüber hatte an Feindseligkeit gegrenzt. Dennoch kehrten Eduardos Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Er fragte sich, ob sie wirklich ein Dach über dem Kopf hatte. Ob sie an diesem Tag genug Geld zusammengebracht hatte, um zu essen. Ob ihr in dieser bitterkalten Winternacht wenigstens warm genug war.
Als endlich das graue Morgenlicht durch die leicht geöffneten Samtvorhänge fiel, hatte er einen Entschluss gefasst. Wenn er das nächste Mal in die Stadt käme, würde er sie nicht wie beabsichtigt ignorieren, sondern sie über ihre Lebensumstände befragen und herausfinden, ob er ihr vielleicht bei der Verbesserung ihrer Situation behilflich sein konnte.
Wahrscheinlich würde sie ihm nur ins Gesicht lachen und ihn auffordern, sich ein anderes heruntergekommenes Subjekt zu suchen, dem er sein Geld aufdrängen konnte. Trotzdem würde er es versuchen, denn er hatte ständig das Bild seines eigenen Kindes in einer ähnlichen Notlage vor sich – wenn es die Chance gehabt hätte, zur Welt zu kommen und so alt zu werden wie dieses Mädchen …
Ein heftiger Schmerz schnürte Eduardo die Kehle zu. Er drehte sich auf die Seite und starrte reglos ins Zwielicht, bis ihm irgendwann vor Erschöpfung die Augen zufielen.
2. KAPITEL
Marianne trank gerade einen Schluck von dem Milchkaffee, den sie sich im Coffeeshop geholt hatte, als sie den Fremden mit dem strengen Mund und dem elfenbeinverzierten Gehstock auf sich zukommen sah.
Ihr Magen machte einen Satz, als er vor ihr stehen blieb und die Lippen zu einer Art Lächeln verzog. „Wie ich sehe, machen Sie gerade eine Pause“, bemerkte er, wobei sein Atem kleine Dampfwolken in der kalten Luft bildete.
Sie nickte stumm und musste sich zwingen, seinem Blick nicht auszuweichen. Ob er überhaupt eine Ahnung hatte, wie intensiv er sie anstarrte? Seine Augen schienen wie Laserstrahlen direkt in ihr Innerstes zu dringen. Ganz anders als bei Donal, dessen gütiger Blick sie niemals in Bedrängnis gebracht hatte.
„Wie läuft das Geschäft?“, erkundigte er sich in beiläufigem Tonfall.
Unwillkürlich streifte Mariannes Blick die wenigen Kupfermünzen in ihrem Hut. „Wie gesagt, ich …“
„Ja, ich weiß“, unterbrach er sie gelassen. „Sie singen nicht für Geld, sondern für das Vergnügen, das es Ihnen bereitet, richtig?“
„Richtig.“ Beschämt erinnerte Marianne sich an ihr aggressives Verhalten bei ihrer letzten Begegnung und fügte rasch hinzu: „Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich Sie neulich beleidigt haben sollte. Aber hier leben tatsächlich sehr viele Menschen, die weitaus hilfsbedürftiger sind als ich. Genau genommen bin ich überhaupt nicht hilfsbedürftig. Der äußere Eindruck kann manchmal täuschen, wissen Sie?“
Statt einer Antwort musterte Eduardo ihr abenteuerlich zusammengestelltes Outfit, das an diesem Tag aus pinkfarbenen Wollstrumpfhosen, einem cremefarbenen Pullover über einem scharlachroten Kleid, braunen Stiefeln und
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