Julia Extra Band 0318
nicht in Betracht. Er hatte ihr einen Job angeboten und einen Ort zum Leben, an dem sie vermutlich seit langer Zeit zum ersten Mal sicher war. Eine solche Situation auszunutzen war völlig ausgeschlossen! Man konnte ihm mit einigem Recht vorwerfen, ein unzugänglicher, launischer Eigenbrötler zu sein, aber ein gewissenloses Schwein war er nicht.
Eduardo griff nach seinem Stock und erhob sich mühsam. Als sein Blick dabei Ricardo streifte, verzog er reumütig das Gesicht. „Ich hatte nicht die Absicht, so zu klingen, als wollte ich dir den Kopf abreißen“, sagte er, „aber du weißt ja, wie es ist.“
„Eines Tages wird sich alles zum Guten wenden, da bin ich ganz sicher.“
Als Eduardo das Mitgefühl und Verständnis in den dunklen Augen seines Dieners sah, der ohne zu zögern seine Familie und alles, was ihm vertraut war, hinter sich gelassen hatte, um seinem Boss in ein ungewisses Leben nach England zu folgen, wurde seine Kehle eng. Aufgewachsen in den Slums von Rio, war Ricardo mit fünfzehn zur Familie de Souza gekommen. Sie hatten ihm einen Job und ein Zuhause gegeben, und es stand für ihn außer Frage, dass er Eduardo bedingungslos zur Seite stehen würde, solange dieser ihn brauchte.
„Ich wünschte, ich könnte das auch glauben, mein Freund“, erwiderte Eduardo rau. „Aber wie sollte das möglich sein? Ich lebe in der Hölle, und so wird es immer sein, egal, ob mein Bein wieder in Ordnung kommt oder nicht.“
Ricardo antwortete nicht sofort. Stattdessen wandte er Eduardo den Rücken zu und wischte mit dem Geschirrtuch einen nicht vorhandenen Fleck von der Arbeitsplatte. „Ich glaube nicht, dass Ihre Frau gewollt hätte, dass Sie so leiden“, murmelte er schließlich. „Und sie hätte es auch nicht richtig gefunden, dass Sie sich für das, was geschehen ist, bis in alle Ewigkeit mit Selbstvorwürfen zerfleischen.“
Sekundenlang stand Eduardo da wie versteinert, bevor er sich abrupt zur Tür wandte. „Ich gehe in mein Arbeitszimmer“, teilte er Ricardo mit. „Das ist kein gutes Thema, und es gibt weitaus Sinnvolleres zu tun als darüber nachzugrübeln.“
Kurz bevor er den Raum verließ, blieb er noch einmal stehen. „Was hast du übrigens für einen Eindruck von unserer neuen Haushälterin?“, erkundigte er sich betont beiläufig.
Sofort hellte sich Ricardos Miene auf. „Ich kann jetzt schon sagen, dass sie sehr energisch und fleißig ist“, erwiderte er grinsend. „Sie sieht zwar aus, als ob ein Windhauch sie umpusten könnte, aber ich glaube, sie ist ziemlich hart im Nehmen.“
Nach einem knappen Nicken ging Eduardo hinaus. Trotz der Schmerzen hatte die Einschätzung seines Dieners ein amüsiertes Lächeln auf seine Lippen gezaubert.
Als ein leises Klopfen an der Tür ertönte, löste Eduardo den Blick von seinem Computerbildschirm. „Ja, bitte“, rief er und ließ einige Male die Schultern kreisen, um seine verspannten Muskeln zu lockern.
„Entschuldigen Sie die Störung …“
Mit Wangen, die glühten, als hätte sie sich in der Nähe eines Feuers aufgehalten, betrat Marianne das Zimmer. Ihr langes Haar war zu einem lockeren Knoten hochgesteckt, und sie hatte sich eine von Ricardos Schürzen umgebunden. Darunter trug sie eine rote Baumwollhose und ein übergroßes weißes Sweatshirt, das ihr fast bis zu den Knien reichte. In diesem Aufzug wirkte sie rührend zerbrechlich und zugleich auf eine unerklärliche Weise begehrenswert.
Eduardo fragte sich, ob sie bei ihrer Begegnung heute Morgen schon dieselben Sachen getragen hatte, aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Ihr Hilfsangebot und die Besorgnis in ihren sanften braunen Augen hatten ihn so aus der Fassung gebracht, dass er nicht darauf geachtet hatte.
„Was gibt es?“, erkundigte er sich interessiert. Die Müdigkeit, mit der er gerade noch gekämpft hatte, war auf einmal wie weggeblasen.
„Ich wollte nur Bescheid sagen, dass das Mittagessen fertig ist. Ich habe Brot gebacken und eine Suppe gekocht, was leider etwas länger als geplant gedauert hat.“
Überrascht hob er die Brauen. „Sie haben gebacken und gekocht? Ich bin ehrlich beeindruckt. Was für eine Suppe ist es denn?“
„Kartoffeln und Lauch. Sie wird Ihnen bestimmt schmecken, und bei diesem Wetter gibt es nichts Besseres als …“ Sie verstummte mitten im Satz, als wäre ihr Enthusiasmus ihr plötzlich peinlich. „Wie auch immer“, fügte sie mit einer verlegenen Handbewegung hinzu. „Eigentlich wollte ich fragen, ob ich Ihnen
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