Julia Extra Band 0318
ein Tablett hochbringen oder lieber im Speisezimmer decken soll.“
„Wo essen Sie denn? In der Küche?“
„Ja. Ricardo ist zum Einkaufen in der Stadt und wird später essen.“
Eduardo nahm seinen Stock und stand auf. „Dann werde ich Ihnen Gesellschaft leisten, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Absolut nicht.“ Mariannes Lächeln schien den ganzen Raum zu erhellen, als sie zur Seite trat, um Eduardo den Vortritt zu lassen.
5. KAPITEL
„Mhm … das ist wirklich köstlich.“
Eduardo blickte von seinem Teller auf und löste mit dem durchdringenden Blick seiner blauen Augen ein nervöses Flattern in Mariannes Magen aus.
„Danke“, murmelte sie etwas befangen, während er ein Stück von dem knusprigen, noch warmen Brot probierte, das ihm ebenso zu schmecken schien wie die Suppe.
„Ich muss sagen, Sie verstehen wirklich etwas vom Kochen“, stellte er anerkennend fest. „Wo haben Sie das gelernt?“
„Die Notwendigkeit ist der beste Lehrer, sagt man. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, aber einen kleinen Garten, in dem sie Gemüse anbauten. In einem Jahr hatten wir so viele Rüben, Lauch und Karotten, dass wir alle möglichen Rezepte ausgetüftelt haben, um sie abwechslungsreich zu verwerten. Auf diese Weise habe ich meinen Spaß am Kochen entdeckt.“
Ein irritierter Ausdruck trat in Eduardos Augen. „Hatten Sie nicht gesagt, Sie hätten keine Familie?“
„Das ist schon lange her.“ Marianne verstummte und aß einen Löffel von ihrer Suppe.
„Was ist mit Ihren Eltern passiert?“, hakte Eduardo nach.
„Als ich vierzehn war, hat meine Mutter sich in einen anderen Mann verliebt und ist mit ihm nach Amerika gegangen. Und mein Vater …“
„Ja?“
Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. „Vermutlich ist er tot oder liegt betrunken unter irgendeiner Londoner Brücke. Bei unserem letzten Treffen war die Tower Bridge sein bevorzugter Aufenthaltsort.“
„Und wann war das?“
„Vor drei Jahren.“ Mit gesenktem Blick schob sie geistesabwesend einige verstreute Brotkrumen hin und her. „Er ist ein hoffnungsloser Alkoholiker. Das ist auch der Grund, warum meine Mutter es nicht mehr mit ihm ausgehalten hat.“
Bevor Eduardo etwas erwidern konnte, stand sie auf und ging zur Spüle. „Essen Sie Ihre Suppe, bevor sie kalt wird“, forderte sie ihn auf, während sie kaltes Wasser in ein Glas laufen ließ. Ihre Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an, und sie spürte einen dumpfen Druck auf der Brust.
Bevor sie nach Amerika ging, hatte ihre Mutter sie immer wieder angefleht, mit ihr zu kommen. Aber Marianne hatte es nicht übers Herz gebracht, ihren Vater einfach seinem Schicksal zu überlassen. Nicht bei all den schönen Erinnerungen an die Zeit, als sie noch klein gewesen war und er mit ihr gespielt, gelacht und sie seinen Engel genannt hatte.
Später, als sie nur noch zu zweit in dem Haus lebten, das kein Heim mehr war, kamen traurige, herzzerreißende Erinnerungen dazu. Noch immer sah Marianne ihn vor sich, wie er nach seinen Sauftouren weinend vor ihr auf den Knien lag und sie um Vergebung bat. Weil er nicht in der Lage gewesen war, sein Geschäft zu halten. Weil er im Alkohol Zuflucht gesucht hatte, um seine Existenzängste zu betäuben. Weil er es nicht schaffte, vom Trinken loszukommen, und damit ihre Familie zerstört hatte …
Schon damals hatte Marianne verstanden, warum ihre Mutter es nicht mehr ertragen hatte, mit so einem Mann zu leben. Doch das änderte nichts an dem Gefühl, von ihr im Stich gelassen worden zu sein. Die Erfahrung, allein zurückzubleiben und plötzlich für jemanden verantwortlich zu sein, dem es egal war, ob er lebte oder starb, solange er nur den nächsten Drink bekam, hatte unauslöschliche Spuren in ihr hinterlassen.
„Marianne …?“
„Tut mir leid, ich brauchte nur einen Schluck Wasser.“ Mit einem gezwungenen Lächeln kehrte Marianne zum Tisch zurück und setzte sich wieder. Eduardos Miene war unergründlich wie immer, aber in seinen Augen entdeckte sie Verständnis und noch etwas anderes, das sie tief berührte, ohne dass sie es hätte benennen können. Etwas, das es ihr unmöglich machte, den Blick von ihm abzuwenden …
„Jedes Kind braucht einen Vater“, sagte er ruhig. „Und es tut mir leid, dass Ihrer nicht so für Sie sorgen konnte, wie er es hätte tun sollen.“
Mit einem stummen Nicken bekämpfte sie den dicken Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. „Leben Ihre Eltern noch?“, fragte sie dann, um das
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