Julia Extra Band 0319
wollte dich wiedersehen.“
„Du bist absichtlich hergekommen.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. Ein Mann wie er würde niemals ohne Grund mitten im Nichts ein winziges Cottage mieten. Ihn würde man sonst nur in den berühmten Urlaubsorten finden.
„Ja.“
„Um mich zu sehen“, ergänzte sie. Er konnte den Unglauben und auch den wachsenden Ärger in ihren Worten hören.
„Ja.“ Er musste sich zusammennehmen, um seine Stimme ruhig zu halten. Er hasste es, wie gespreizt er sich anhörte. Hasste es, dass er den Erinnerungen, die mit aller Macht auf ihn einstürzten, keinen Einhalt gebieten konnte. Abby zu sehen brachte all seine Gefühle zurück, machte ihm klar, wie wunderbar jene Nacht gewesen war – oder anders: hätte sein können. „Es war schwer, dich zu finden. Aber ich habe dich gefunden. Und jetzt bin ich hier.“
„Wozu?“ Abby verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Augen blitzten, sie sprach das eine Wort gefährlich leise aus, wie Luc es noch nie gehört hatte.
„Ich musste sehen, dass es dir gut geht.“
In Abbys Kopf wirbelten die Gedanken. Sie war sich so vieler Dinge gleichzeitig bewusst – des wachsenden Ärgers, der immer heißer durch ihre Adern floss, der feuchten Handflächen, des harten Klopfens ihres Herzens. Am meisten jedoch war sie sich Lucs Person bewusst – die erstaunlich vertrauten Züge, sein Haar, das er noch immer ein wenig zu lang trug, die faszinierend blauen Augen. Und seine Arme, die er fest an sich gepresst hielt. Sie wollte zu ihm gehen, seine Arme nehmen und sie um sich legen …
Stattdessen trat sie einen Schritt zurück. Das würde ganz sicher nicht passieren. „Verstehe ich das richtig?“ Auch sie hielt ihre Stimme eben und ruhig, genau wie er. „Du musstest dein Gewissen beruhigen und dich davon überzeugen, dass ich nicht in Kummer ertrinke wegen einer einzigen Nacht vor sechs Monaten, die wir fast miteinander verbracht hätten? Ist es das?“
Zwei rote Flecke erschienen auf seinen Wangen. Ist er tatsächlich verlegen?, fragte sie sich. Oder nur verärgert? Sie breitete die Arme aus. „Dein Gewissen kann ganz beruhigt sein, Luc. Mir geht es gut.“
Er rührte sich nicht. „Du hast das Klavierspielen aufgegeben.“
„Eine Entscheidung, die nichts mit dir zu tun hatte.“
Sein Mund wurde hart. „In der Zeitung stand, dass du mehrere Konzerte abgesagt hast.“
Die neue Welle des Ärgers überraschte sie. Sie hätte gedacht, mit der Sache abgeschlossen zu haben. Und mit ihm. In der Theorie hatte sie das auch, doch während sie Luc jetzt vor sich stehen sah, dann wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Nur verlangte er Antworten auf Fragen, die zu stellen er kein Recht hatte. „Das geht dich nun wirklich nichts an, Luc“, entgegnete sie entnervt. „Die Lasagne steht im Kühlschrank.“
Er seufzte auf. „Ich habe das Essen nur bestellt, um dich zu sehen.“
„Nun, du hast mich gesehen.“ Sie lachte freudlos. „Du musst immense Detektivarbeit geleistet haben, um mich hier aufzutreiben. Nicht einmal die Medien haben es geschafft. Obwohl … vermutlich bin ich schon lange nicht mehr aktuell.“
„Warum spielst du nicht mehr Klavier, Abby?“
„Ich sagte doch schon, es hat nichts mit dir zu tun.“
„Das kann ich nur schwer glauben.“
Sie lachte ungläubig. „Wäre es dir lieber, ich hätte die Musik wegen eines gebrochenen Herzens aufgegeben?“
Die Muskeln in seinen Wangen arbeiteten, er kniff die Augen zusammen. Das sollte der Mann sein, mit dem sie fast geschlafen hätte? Der Mann, in den sie sich verliebt geglaubt hatte? Sie musste wirklich erschreckend naiv gewesen sein, denn dieser Mann, der hier vor ihr stand, war kalt und gefühllos, ja dünkelhaft. Warum war er überhaupt gekommen?
„Ich muss wissen, warum du aufgehört hast.“
Abby holte frustriert Luft. Die letzten Minuten hatten sie emotional und psychisch ausgelaugt. Das Vernünftigste wäre, sich einfach umzudrehen und zu gehen.
Doch wenn es um diesen Mann ging, hatte ihre Vernunft nie eine Chance gehabt.
„Wenn du unbedingt Antworten hören willst“, sagte sie schließlich, „dann biete mir wenigstens eine Tasse Tee an.“ Sie marschierte an ihm vorbei in die Küche, füllte den Kessel mit Wasser und setzte ihn auf den Herd. Die alltäglichen Handgriffe boten ihr die dringend benötigte Ablenkung, um ihre Erinnerungen und Gefühle im Zaum halten zu können. Ihr ganzer Körper prickelte, nur weil sie ihn gesehen hatte. Der Schock
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