Julia Extra Band 0319
steckte ihr noch immer in den Knochen. Nie hätte sie damit gerechnet, Luc wiederzusehen, und erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie es sich gewünscht hatte.
„Vermisst du es?“
Die Teekanne in der Hand, verharrte Abby. Sie brauchte nicht zu fragen, was Luc meinte. Alles … der Glamour, die Bewunderer, das Publikum, das Luxusleben des Jetsets. Und die Musik. Vor allem die Musik.
Die Musik war ihr Lebensinhalt gewesen, ihre Seele hungerte nach ihr. Sie hatte nun schon so lange ohne sie auskommen müssen, dass sie gar nicht mehr wusste, wie es war, diesen Hunger zu stillen.
Bedächtig hängte sie zwei Teebeutel in die Kanne. „Nein“, sagte sie. „Zumindest nicht so sehr, wie ich vermutet hatte.“ Zum Teil war das gelogen. Sie vermisste die Musik. Schrecklich.
„Warum hast du dich zurückgezogen, Abby?“ In der kleinen Küche trat Luc ein Stück näher an sie heran. „Warum hast du so plötzlich alles aufgegeben?“
„Du hast einen Schuldkomplex.“ Sie drehte sich um und lächelte erstaunt. „Du gibst dir die Schuld, nicht wahr? Du glaubst, du hättest meine Karriere ruiniert.“
„Zumindest frage ich mich das. Sage mir, dass ich mich irre.“
So kühl er sich auch gab, Abby spürte sein Bedauern. Sie musste an den Mann von vor sechs Monaten denken. Auch in Paris hatte sie diese Trauer in ihm gespürt. Was hatte Luc zu einem Mann gemacht, der von Schuldgefühlen gequält wurde? Was hatte er getan?
„Du irrst dich, Luc“, sagte sie leise. „Es hatte nichts mit dir zu tun, es lag ganz allein an mir.“
„Was ist passiert?“
Der Wasserkessel begann zu pfeifen, Abby beschäftigte sich mit der Teezubereitung. Sie schindete Zeit, um ihre Gedanken sammeln zu können. Was passiert war? So vieles.
„Vermutlich kam einiges zusammen“, erklärte sie endlich und reichte Luc einen Becher mit Tee. „Unser gemeinsamer Abend damals hat mir wohl den Anstoß zum Nachdenken gegeben.“ Sorgfältig wählte sie ihre Worte. „Mir wurde klar, wie eingeschränkt mein Leben war. Für andere Menschen muss es glamourös gewirkt haben, doch alles, was ich je gekannt habe, war das Klavierspiel. Üben und Konzerthallen, Konzerthallen und Üben.“ Sie nippte an ihrem Tee. „Nicht gerade abwechslungsreich.“
„Und das wolltest du ändern?“
Nein, sie hatte nicht nur etwas ändern wollen, sie hatte fliehen wollen. Die schlechten Kritiken beschleunigten den Prozess nur. „Ja, es war dringend nötig. Ich war ausgebrannt. Was auch für jeden deutlich zu erkennen war.“
„Du bist brillant“, widersprach er, und Abby zuckte mit den Achseln.
„Ich hatte aufgehört, brillant zu sein.“ Noch immer schmerzten die enttäuschten Gesichter des Publikums, die vernichtenden Kritiken, doch viel schlimmer war die Leere gewesen, die sie in sich gefühlt hatte. Es war, als wäre ihre Verbindung mit der Musik plötzlich abgerissen. Und so war sie gegangen. Sie war froh darum. Zumindest sagte sie sich das.
Beide schwiegen sie, das Rauschen der Wellen war das einzige Geräusch.
„Na gut“, sagte Luc in die Stille hinein. „Aber warum ausgerechnet Cornwall? Wieso schleppst du Kisten wie ein Hausdiener?“
Sie hörte die Überheblichkeit in seinen Worten und schnaubte. „Es ist nichts Falsches an körperlicher Arbeit.“
„Es ist unter deiner Würde. Und was, wenn du dir die Hände verletzt und nie wieder spielen kannst?“
Daran hatte Abby auch schon gedacht, aber als sie damals die Stelle angenommen hatte, war sie zu niedergeschlagen gewesen, um sich deshalb zu sorgen. „Seit Monaten habe ich nicht mehr Klavier gespielt. Manchmal frage ich mich, ob ich je wieder spielen werde.“ Ihre größte Angst hatte sie bisher noch nie laut ausgesprochen. Sie wandte das Gesicht ab, um Lucs schockierte Miene nicht sehen zu müssen. „Aber wer weiß?“ Dieses Gespräch machte sie rastlos.
„Wenn du eine Pause brauchtest, warum hast du dir nicht einfach eine Auszeit genommen? Du hättest dich irgendwohin zurückziehen können, in einen abgeschiedenen Urlaubsort, in ein angenehmes, ruhiges Hotel. Ein richtiger Urlaub, anstatt als …“
„Anstatt als Hilfskraft zu arbeiten?“ Abby lachte. „In gewisser Weise ist es wie Urlaub für mich.“
„Du hättest es dir doch auf jeden Fall leisten können.“
„Um genau zu sein, ich kann es mir nicht leisten.“ Sie hatte nicht vorgehabt, die finanzielle Seite ihrer Lebensumstände auszuplaudern, doch Luc gelang es immer wieder, ihr die Wahrheit zu entlocken.
„Was
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