Julia Extra Band 0327
besprechen, so wie jeden Abend, bevor sie sich an den eleganten Flügel setzte.
Emelia starrte auf ihre Hand, die unter der großen von Javier kaum noch zu sehen war. Der körperliche Kontakt berührte etwas tief in ihrer Seele, so als würde ihr Körper ihn erkennen, selbst wenn der Kopf es noch nicht konnte. Das beruhigte Emelia und machte sie zugleich ziemlich nervös …
Sie schüttelte den Kopf, was sich anfühlte, als würde man direkt unter ihrer Schädeldecke eine Ladung Schrot abfeuern. Ruckartig fuhr sie sich mit der freien Hand über die Stirn und stöhnte gequält auf. Verwirrung, Trauer, Fassungslosigkeit und Schmerzen vermengten sich zu einem Zustand, der allmählich unerträglich wurde.
Javier drückte sanft ihre Finger. „Mir ist klar, was für ein Schock all das für dich sein muss. Es ist immer schlimm, einem Menschen solche Schreckensnachrichten mitteilen zu müssen.“ Dann ließ er sie los und schenkte ihr ein Glas stilles Wasser ein. „Hier, trink das erst einmal! Danach wirst du dich etwas besser fühlen.“
Doch Emelia war fest davon überzeugt, sich niemals wieder in ihrem Leben besser fühlen zu können. Ein schaler Schluck Wasser machte ihren besten Freund auch nicht wieder lebendig. „Ich begreife das alles nicht. Warum war ich in London, wenn wir angeblich verheiratet sind und gemeinsam in Sevilla leben?“
„Ein paar Kilometer außerhalb von Sevilla“, stellte er richtig. „Aber ja, dort wohnen wir.“
Ratlos betrachtete sie ihre schmucklose Hand, während Javier einen außerordentlich schön gearbeiteten Ring aus seiner Tasche hervorholte und Emelia vorsichtig über ihren schlanken Finger streifte. Voller Hoffnung musterte sie ihre Hand erneut und fühlte – nichts.
Sie sah ihm in die Augen. „Ich war also allein in London?“, begann sie erneut.
Sein Blick verriet keinerlei Emotionen. „Ich selbst war geschäftlich in Moskau. Dort reise ich oft hin. Und du wolltest nach England … zum Einkaufen.“
„Warum bin ich nicht mit dir zusammen nach Moskau geflogen?“
Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. „Du begleitest mich nie auf Geschäftsreisen“, erklärte Javier. „Meistens verbringst du die Zeit zu Hause oder in London, weil dir die Läden dort gefallen und dir die Sprache vertrauter ist.“
Emelia biss sich auf die Unterlippe und griff wieder nach ihrer Bettdecke, als könne sie sich daran festhalten. „Merkwürdig. Ich hasse Shopping eigentlich, weil ich sowieso nie die richtige Größe oder den geeigneten Schnitt finde, und außerdem mag ich diese aufdringlichen, hochnäsigen Verkäuferinnen nicht.“
Javier blieb ihr eine Antwort schuldig, und sie fragte sich unwillkürlich, was für eine Art Leben sie wohl geführt hatte. Welche normale Ehefrau flog zum Einkaufen ins Ausland, anstatt Zeit mit ihrem Mann zu verbringen? Das klang nicht gerade nach einer glücklichen Ehe. Am schlimmsten aber war, dass all das eher nach dem Verhalten ihrer Mutter klang, als diese noch am Leben war.
Nach einer Weile zwang Emelia sich, wieder seinen Blick zu erwidern. „Das klingt vielleicht recht merkwürdig, aber …“ Sie zögerte kurz. „Waren wir glücklich verheiratet?“
Diese Frage hing lange Zeit unbeantwortet in der Luft, und Emelias Kopfschmerzen wurden von Minute zu Minute stärker. Endlich verzog Javier die Lippen zu einem dünnen Lächeln und räusperte sich leise.
„Selbstverständlich, querida . Warum sollten wir denn nicht glücklich gewesen sein? Wir sind doch erst seit zwei Jahren verheiratet. Nicht lange genug, um voneinander schon gelangweilt oder einander überdrüssig zu sein.“
Es war vollkommen verrückt, hier im Bett zu liegen und über eine Beziehung zu diesem Mann zu sprechen, an die sie nicht die geringste Erinnerung hatte. So etwas kam höchstens in Büchern oder Filmen vor. Aber niemals passierte es gewöhnlichen Leuten wie Emelia einfach so, im echten Leben.
„Es tut mir leid, aber ich bin wirklich sehr müde“, seufzte sie, und Javier trat augenblicklich vom Bett zurück.
„Natürlich, schon gut. Ich muss mich auch noch um ein paar Dinge kümmern. Du kannst dich erst einmal gründlich ausruhen.“
Er hatte den Vorhang schon fast geschlossen, als Emelia sich halb aufrichtete. „Javier?“
Seine Schultern wurden steif, so als wollte er sich gegen eine unliebsame Bemerkung wappnen. „Ja, Emelia?“
Für ein paar Sekunden sah sie ihm schweigend in das unbekannte Gesicht. „Es tut mir ehrlich leid, dass ich dich nicht
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