Julia Extra Band 0330
nur für einen Sekundenbruchteil lebendiger wurden. Als wollte sie sich gegen etwas schützen, schlang Julie beide Arme um ihren Körper.
Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht, da war Nikos sich absolut sicher!
„Warum hast du es ihm nicht erzählt, Julie?“ Er glaubte zu verstehen. „Er würde dir bestimmt helfen, wieder auf die Füße zu kommen. Das weißt du doch. Vielleicht denkst du ja auch, in deinem Alter solltest du lieber unabhängig sein und nicht finanziell auf deine Familie angewiesen …“
Ein undefinierbarer Laut aus ihrer Kehle brachte ihn zum Schweigen. Es klang wie ein Lachen, obwohl Nikos instinktiv wusste, dass es keines war. Julie starrte ihm direkt in die Augen.
„Er hat kein Geld mehr“, sagte sie schlicht und wand die Arme noch fester um ihren Oberkörper. Ganz offensichtlich stand sie unter großem emotionalen Stress, und Nikos nahm sich vor, ab sofort behutsam vorzugehen, um Julie nicht zu verschrecken. Sonst würde er seine Antworten vielleicht niemals erhalten.
„Das verstehe ich nicht“, begann er vorsichtig.
Jetzt lachte sie wirklich trocken auf. Es klang unheimlich hohl und wild. „Ach, nein? Tust du nicht? Nikos, der sich gekonnt in der finanziellen Stratosphäre bewegt – verlässt dich etwa plötzlich dein Gespür für Geld? Sag mal, bei der Unternehmensgröße und deiner internationalen Erfahrung, ist dir da eigentlich mal der umgangssprachliche Ausdruck boiler room untergekommen?“ Ihr Tonfall war voller Hass.
Nikos rührte sich nicht. „Ja“, sagte er tonlos.
Boiler room , die Bezeichnung stand für illegale Organisationen, die zweifelhafte Wertpapiere vertrieben und dabei so geschickt agierten, dass die Finanzbehörden sie einfach nicht zu fassen bekamen. Wie bei Giftpilzen schoss sofort, wenn man eine Quelle auslöschte, eine andere aus dem Boden, um ihren Platz einzunehmen. Die Methoden waren schon nicht mehr als halbgar zu bezeichnen, und die Geschäfte lohnten sich im höchsten Maße für diejenigen, die solche Transaktionen einleiteten.
Diese Leute hungerten nach immer neuen Investoren, die sie von ihren Plänen überzeugen konnten, und dabei gelang es ihnen, bei ausbleibenden Gewinnen die Anleger auch noch dazu zu bringen, Geld nachzuschießen. Immer mit der Aussicht auf den gigantischen Goldtopf am Ende des Regenbogens – bis es keine Summen mehr zu investieren gab. Wer ausgeblutet war, wurde als Opfer einfach abgelöst und ersetzt.
Verwundert zog Nikos die Augenbrauen zusammen. Edward Granton war ein alter Fuchs im Großunternehmertum und würde einen boiler room -Betrug schon von Weitem riechen! Von so etwas ließ ein Mann wie Granton doch ganz bestimmt die Finger. Nikos konnte sich nicht vorstellen, dass der alte Mann übers Ohr gehauen worden war, aber das war im Augenblick ohnehin zweitrangig.
Mit einem letzten Blick in den schäbigen Raum nahm er Julie beim Ellenbogen. „Komm, wir verschwinden hier erst einmal!“
Ihre Lider flatterten kurz, dann war der dunkle Schatten in Julies Blick zurückgekehrt. „Du gehst ohne mich, Nikos“, sagte sie tonlos.
Er prustete kurz, so als wollte er ein Lachen unterdrücken. „Auf gar keinen Fall werde ich alleine gehen und dich in diesem Loch zurücklassen. Pack deine Sachen zusammen, wir gehen!“ Er drehte sich um die eigene Achse. „Viel kann das ja nicht sein. Außerdem habe ich noch dein Gepäck aus Belledon .“
„Das werde ich bei dir abholen.“
„Lass mal, das ist etwas für die Altkleidersammlung.“
„Aber diese Kleider sind alles, was ich besitze“, protestierte Julie halbherzig. „Bitte lass sie mich abholen und wirf sie nicht weg! Ich brauche sie. Und im Übrigen“, setzte sie mit gefestigter Stimme hinzu, „geht es mir gut hier. Ich bin daran gewöhnt.“
Er soll einfach gehen, dachte Julie verzweifelt. Lange bewahre ich die Fassung nicht mehr! Und vor ihm zusammenzubrechen würde alles nur noch schlimmer machen.
Es war schon schwer genug gewesen, ihn am Morgen nach ihrer leidenschaftlichen Nacht zu verlassen und den langen Weg zurück in ein trostloses Leben zu gehen. Ihn jetzt vor sich stehen zu sehen, ausgerechnet in ihrer schäbigen kleinen Wohnung, machte Julie deutlich, wie tief sie im Schlamassel steckte. Ihre quälende Verzweiflung wuchs.
„Bitte geh jetzt, Nikos. Ich will dich nicht mehr hierhaben. Ich … ich muss noch so viele Sachen erledigen, also lass mich endlich allein! Bitte!“
„Was für Sachen?“, wollte er wissen.
„Alles Mögliche. Ist
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