Julia Extra Band 0331
bieten können, die er empfand, wenn er wieder ein neues, noch ehrgeizigeres Projekt startete. So war er nun einmal, und er tat gut daran, es nie zu vergessen.
Ein undefinierbarer Schmerz schnürte Rodrigo die Brust zusammen, als er sich von Jenny abwandte und ans Fenster trat. Er schob den Vorhang beiseite und erblickte ein blasses, rosagoldenes Licht am Horizont. Es verlieh dem bleigrauen Meer, dass vollkommen ruhig dalag, einen warmen Schimmer und kündete davon, dass der Sonnenaufgang kurz bevorstand. Es war ein erhabener Anblick, wie Rodrigo ihn nicht oft zu sehen bekam. Sein streng durchgeplanter Tagesablauf ließ ihm keine Zeit für ausgiebige Landschaftsbetrachtungen.
Ein leises Rascheln riss ihn aus seiner Versunkenheit. Als er sich umdrehte, sah er, dass Jenny die Bettdecke zurückgeschlagen hatte und gerade versuchte, ihre Beine aus dem Bett zu manövrieren.
„Was, zum Teufel, tust du da?“ In Windeseile war er bei ihr und blickte sie tadelnd an, worauf sie dunkelrot anlief und den Kopf senkte.
„Ich … ich muss zur Toilette“, murmelte sie verlegen.
„Warum sagst du denn nichts? Komm, lass mich dir helfen.“ Ohne weitere Umstände hob Rodrigo sie auf seine Arme und trug sie zum Bad. Durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds hindurch spürte er die Hitze, die von ihr ausging. Sie hatte noch immer hohes Fieber und würde in den nächsten Tagen mit Sicherheit nicht in der Lage sein, sich um das Gästehaus ihrer Freundin zu kümmern.
Ebenso klar war, dass er sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen würde. Das geplante Meeting musste also noch einmal verlegt werden, was Rodrigos Vertragspartner freuen würde, da es ihnen noch etwas Zeit verschaffte, sich auf die Inspektion ihres Auftraggebers vorzubereiten.
Vorsichtig stellte er Jenny auf die Füße und knipste das Badezimmerlicht an. Und weil er einfach nicht widerstehen konnte, strich er ihr noch einige zerzauste Locken aus dem Gesicht, bevor er ihr mitteilte, dass er auf sie warten und dann wieder ins Bett tragen würde.
Einige Minuten später sank sie erschöpft in ihre Kissen zurück und ließ es willenlos zu, dass Rodrigo die Bettdecke um sie herum feststeckte, als wäre sie ein kleines Kind. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie peinlich es mir ist, dass du das alles für mich tun musst“, wisperte sie beschämt.
Er sah ihr fest in die Augen. „Ging es dir letzte Nacht schlecht?“
„Ja, aber …“
„Fühlst du dich heute besser?“
„Nicht viel, aber …“
„Gibt es irgendjemanden – einen Freund, einen entfernten Verwandten oder einen Nachbarn –, der herkommen und sich in den nächsten Tagen um dich kümmern könnte?“
„Nicht dass ich wüsste …“ Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
„Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als mit mir Vorlieb zu nehmen, bis du wieder auf dem Damm bist“, stellte Rodrigo nüchtern fest. „Falls jemand wegen einer Reservierung anruft, werde ich sagen, dass wir zurzeit wegen Krankheit geschlossen haben.“
„Aber … was ist mit deiner Arbeit? Du bist doch wegen einer wichtigen Besprechung hergekommen.“
„Die kann ich problemlos für ein oder zwei Tage verschieben.“
„Du würdest das wirklich für mich tun?“
Um seine Mundwinkel zuckte es unmerklich. „Ich weiß, dass es dir schwerfällt, es zu glauben, aber ja, ich würde.“
Trotz ihres festen Vorsatzes, nicht zu weinen, rollten Jenny zwei dicke Tränen über die Wangen. „Da ist sehr lieb von dir Rodrigo, aber ich kann das einfach nicht zulassen.“
„So wie ich es sehe, hast du gar keine andere Wahl.“
„Ich fühle mich so nutzlos …“
„Du bist alles andere als nutzlos, sondern einfach nur krank.“ Sanft wischte Rodrigo mit dem Daumen ihre Tränen weg. Die Tatsache, dass es außer ihrem bindungsunfähigen Exmann niemanden gab, den Jenny um Hilfe bitten konnte, tat ihm in der Seele weh. „Soweit ich gesehen habe, leistest du hier großartige Arbeit. Also hör auf, solchen Unsinn zu reden und schlaf noch ein bisschen. Wenn du wieder aufwachst, mache ich dir einen Tee, und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
Vorsichtshalber legte er ihr noch einmal die Hand auf die Stirn. Sie war immer noch viel zu warm, aber zum Glück nicht mehr so beängstigend heiß wie in der vergangenen Nacht. Er war zwar kein Arzt, aber wie es aussah, hatte sie das Schlimmste überstanden.
„Du bist eindeutig auf dem Weg der Besserung, querida “, verkündete er mit einem
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