Julia Extra Band 0331
aufmunternden Lächeln. „Ich werde jetzt duschen und mich rasieren, und dann gehe ich nach unten und sehe nach, was zu tun ist.“
Als Jenny zwei Stunden später die Augen aufschlug, schimmerte die Sonne durch die zugezogenen Vorhänge und tauchte das Zimmer in ein warmes goldenes Licht.
Rodrigo hatte recht – sie war weit davon entfernt, ihre Pflichten als Pensionswirtin wieder aufnehmen zu können. Ihr war noch immer entsetzlich elend zumute, aber trotz allem empfand sie eine wohlige Geborgenheit, die sie sich kaum einzugestehen wagte.
Wer hätte gedacht, dass ihr arbeitswütiger Exmann einmal seine Geschäfte vernachlässigen würde, um für sie die Krankenschwester zu spielen? Noch vor wenigen Tagen hätte ihr diese Vorstellung nur ein zynisches Lachen entlockt, und nun hatte er seine wichtige Besprechung schon zum zweiten Mal verschoben, um ihr zur Seite zu stehen.
Unversehens musste sie an ihren Bruder Tim denken. In einer Situation wie dieser hätte er sich nicht einmal dazu aufgerafft, die Katze zu füttern. Er hätte ungerührt sein Lotterleben weitergeführt, ohne sich darum zu scheren, was mit ihr oder dem Haus passierte. Noch immer sah Jenny das unbeschreibliche Chaos vor sich, das sie bei ihrer Ankunft in London vorgefunden hatte. Die gediegene, einst so gepflegte viktorianische Doppelhaushälfte hatte sich in eine verkommene, stinkende Müllkippe verwandelt, und sie hatte wochenlang schuften müssen, um ihm seine frühere Schönheit und Gemütlichkeit wiederzugeben.
Anfangs hatte sie noch versucht, mit Tim zu reden und sich bemüht, ihn zu einem halbwegs geregelten Leben zu motivieren. Doch dann fand sie zu ihrem Entsetzen heraus, dass er schon seit Jahren drogenabhängig war. Nachdem Jenny den ersten Schock darüber überwunden hatte, hatte sie ihm vorgeschlagen, eine Entziehungskur zu machen und ihm sogar angeboten, die Kosten dafür zu übernehmen. Aber Tim hatte sie nur ausgelacht und als dämliche, spießige Tussi bezeichnet.
Bei der Erinnerung spürte Jenny einen schmerzhaften Stich in der Brust. Es waren dunkle Zeiten gewesen, und sie wollte lieber nicht darüber nachgrübeln, solange sie sich noch so schwach fühlte.
Wie von selbst kehrten ihre Gedanken zu dem dynamischen, charismatischen Rodrigo zurück. Er war so mühelos in die Rolle ihres Pflegers und Schutzengels geschlüpft, dass Jenny gefährlich nah daran war, ihm erneut zu verfallen. Als er sie vorhin ins Bad und wieder zurück ins Bett getragen hatte, war ihr vor Verlangen ganz schwindlig geworden. Aber konnte man es ihr verdenken? Welche Frau würde nicht schwach werden, wenn sie in seinen starken Armen liegen würde, umhüllt von seiner Wärme, seiner Vitalität und dem verführerischen Duft seines Aftershaves?
Gewöhn dich nur nicht zu sehr an seine Nähe, rief sie sich streng zur Vernunft. Dies war ganz klar eine Ausnahmesituation. Sobald sie wieder auf den Beinen war, würde Rodrigo wieder sein gewohntes Leben aufnehmen, und sie würde wieder allein sein. Auf etwas anderes zu hoffen wäre absurd, das durfte sie nie vergessen.
5. KAPITEL
„Na, wie geht es der Patientin?“
Als Jenny die Augen öffnete und Rodrigo mit einem Teetablett in der Tür stehen sah, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Frisch geduscht und rasiert, das gewellte schwarze Haar aus der hohen Stirn gebürstet, sah er so unverschämt gut aus, dass sein Anblick einen heftigen Adrenalinstoß in ihr auslöste.
Etwas unbeholfen richtete sie sich in ihren Kissen auf und lachte nervös. „Fantastisch. Wenn ich die Zähne zusammenbeiße, könnte ich mich bestimmt bis zur Treppe schleppen, bevor ich tot zusammenbreche.“
Er grinste amüsiert und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab. „Wenigstens hast du deinen Sinn für Humor wiedergefunden, was ein gutes Zeichen ist. Und sterben wirst du ganz sicher nicht. Jedenfalls nicht, solange ich an deinem Bett Krankenwache halte.“
Als er ihr die Teetasse reichte und sich dabei kurz ihre Fingerspitzen berührten, war es, als würde Jenny ein Stromschlag durchzucken. „Gehörte Zimmerservice auch zu deiner Ausbildung im Hotelgeschäft?“, zog sie ihn auf, um ihre Befangenheit zu überspielen.
„Wenn man eine Sache von Grund auf lernen will, darf man sich für nichts zu fein sein. Apropos Geschäft – wie läuft es denn bei dir?“
Jenny zuckte die Schultern. „Zurzeit eher durchwachsen. In den letzten Monaten war nicht viel los, aber ich habe einige gute Aufträge in Aussicht. Mit dir werde ich
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