Julia Extra Band 0339
schob die Hände in die Hosentaschen. „Die meisten Männer genießen den Anblick einer schönen Frau, Miss Golightly. Im Gegensatz zu Ihrem Piraten würde ich jedoch nie auf die Idee kommen, Sie gegen Ihren Willen zu küssen.“ Erneut ließ er den Blick über ihre Gestalt gleiten. „Was immer ich auch tun würde, es wäre eine Huldigung Ihrer Schönheit – und ein Genuss für uns beide.“
Mit aller Kraft unterdrückte Holly das sinnliche Beben, das diese Worte bei ihr verursachten. Äußerlich sah man ihr nichts an, aber innerlich durchlief es sie heiß und kalt, als sie sich einen Moment lang ausmalte, wie es sein müsste, von ihm geliebt zu werden. Wie schaffte er es nur, diesen irrsinnigen Wunsch in ihr zu wecken? Woran lag es? An der Stimme? Am Blick? An dem Flair von Abenteuer, das ihn umgab? Ob es jeder Frau, die er so ansah wie jetzt sie, ebenso erging?
Der Gedanke hatte etwas Ernüchterndes, und im nächsten Moment hatte sie sich wieder in der Gewalt. Als sie bemerkte, dass er sie immer noch musterte – nachdenklicher, weniger provozierend –, krauste sie die Stirn. „Stimmt etwas nicht, Monsieur l’Espagnol?“
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir uns schon mal begegnet sind.“
Sie lachte gezwungen. „ Die Masche kenne ich.“
„Sie glauben, das ist ein Annäherungsversuch?“
„Davon bin ich überzeugt.“ Sie hielt ihm das halb volle Champagnerglas hin. „Au revoir, Monsieur.“
„Mademoiselle …“ Er nahm das Glas und verneigte sich leicht. „Übrigens, sind Sie dem Scheich auf einem Ihrer Kamelritte begegnet?“
Im Begriff, in den Ballsaal zurückzukehren, blieb Holly wie angewurzelt stehen. „Sie haben die ganze Zeit gewusst, wer ich bin?“
„Nicht sofort. Zuerst habe ich mich durch den französischen Akzent täuschen lassen, aber schließlich bin ich weder blind noch taub. Wie viel von dem, was Sie erzählen, ist wahr? Oder sind es nur Erfindungen?“
„Ich glaube, jetzt brauche ich eine kleine Stärkung.“ Sie nahm ihm das Glas wieder aus der Hand und trank einen Schluck. „Das mit Tahiti stimmt, ich bin letzte Woche aus Papeete zurückgekommen. Und da ich Französisch spreche, kam mir die Idee … Ich meine, ich wollte …“ Um eine passende Ausrede verlegen, fuchtelte sie mit dem Glas umher.
„Sie wollten mich hinters Licht führen.“
Holly verschluckte sich und hustete. „Weshalb sollte ich mich zu erkennen geben?“, fragte sie, als sie wieder sprechen konnte. „Bisher haben Sie mich entweder beleidigt oder sind mir zu nahe getreten.“
„Sie werden zugeben, dass alles, was Sie behaupten, höchst unglaubwürdig klingt.“ Ironisch hob er die Brauen. „Sind Sie heute Abend auch mit Ihrer Mutter da?“
Wütend stampfte sie mit dem Fuß. „Machen Sie sich nicht über meine Mutter lustig, sonst …“ Sie verstummte, als sie aus den Augenwinkeln eine weibliche Gestalt erblickte.
Sylvia, als Eliza Doolittle beim Pferderennen in Ascot verkleidet, kam auf sie zu. Nichts fehlte an dem Kostüm, weder der Wagenradhut mit der Riesenschleife noch das Sonnenschirmchen.
„Da bist du ja, Liebling, ich habe dich schon überall gesucht. Wie ich sehe, hast du Mr Wyndhams Bekanntschaft gemacht.“ Sie wandte sich Brett zu. „Wie geht es Ihnen, Sir? Ich bin Sylvia Harding, Hollys Mutter. Ja, sie heißt tatsächlich Holly, deswegen sind wir auch auf die Idee mit Holly Golightly gekommen.“ Sie schwieg, dann holte sie tief Luft. „Ich vermute, meine Tochter hat Ihnen neulich beim Lunch und auch jetzt verschwiegen, dass sie als Journalistin für ein bekanntes Magazin arbeitet und Sie liebend gern interviewen würde.“
Keiner sprach, und Holly wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Hastig redete Sylvia weiter: „Sie schreibt sehr gut, müssen Sie wissen. Das hat sie von ihrem Vater, Richard Harding. Vielleicht ist Ihnen der Name ein Begriff?“
„Das ist er.“ Brett verneigte sich höflich. „Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs Harding.“
„Sehr liebenswürdig. Und falls es Sie wundert, dass ich Sie erkannt habe – Sie haben große Ähnlichkeit mit Sue Murray. Eine ganz reizende junge Frau, Ihre Schwester! Aber jetzt will ich nicht länger stören …“ Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie kurz und kehrte in den Ballsaal zurück.
Holly atmete tief aus, dann hob sie das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug. „Ein Wort, und ich bringe Sie um!“ Sie drückte ihm das leere Glas in die Hand. „An diesem …
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