Julia Extra Band 0345
schüttelte sie den Kopf. Was war nur aus dem zuvorkommenden Emilio geworden, der immer ein aufmunterndes Wort für sie übrig hatte? Dieser Mann, der sie mit eisigem Blick musterte und ihr gemeine Behauptungen ins Gesicht schleuderte, war ihr völlig fremd.
Ihr Schweigen schien ihn erst recht zu erzürnen.
„Hast du etwa auch getrunken?“ Misstrauisch beäugte er sie.
Wieso spielt er sich eigentlich so auf? überlegte Megan, deren Widerspruchsgeist sich endlich regte. Sie stützte die Hände auf die Hüften, warf das lange schimmernde Haar zurück und hob herausfordernd das Kinn. „Das geht dich überhaupt nichts an! Und wenn schon, was ist dabei? Schließlich bin ich volljährig.“
„Hier geht es nicht um Volljährigkeit, sondern um Selbstachtung.“
Megan hatte genug von seinen gemeinen Kommentaren. „Was erlaubst du dir eigentlich? Ich habe mich doch nur mit einigen Kommilitonen getroffen. Du tust so, als hätten wir eine Orgie gefeiert. Außerdem hast du mir überhaupt nichts vorzuschreiben. Schließlich bist du nicht mein Vater.“
Es war nicht zu fassen, aber Emilio betrachtete ihren Ausbruch als Schuldeingeständnis.
„Du hast also getrunken“, schlussfolgerte er, schloss die Augen und warf den Kopf zurück. Nachdem er einige Male tief durchgeatmet und etwas auf Spanisch vor sich hin gemurmelt hatte, sah er Megan wieder an. „Ich höre.“
Nach langem Schweigen gab sie schließlich doch nach. „Okay, ich habe ein Glas Wein getrunken. Und ich wollte mir ein Taxi nehmen, aber er hat angeboten …“
„Was erwartest du eigentlich, wenn du so herumläufst? Dein Aufzug ist ja geradezu eine Einladung …“ Er fiel wieder in seine Muttersprache. Megan hatte ihn trotzdem verstanden.
„Ich habe Nein gesagt.“
„Aber nicht laut genug. Er hat behauptet …“
„Was hat er behauptet?“
„Dass du ganz scharf auf ihn warst.“
Megan, die bei der Erinnerung an diese unschöne Szene bleich geworden war, sah auf und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. „Ich ziehe es vor, Abstand zu halten von dem Look ‚Körbchengröße D – sie ist scharf auf mich‘.“ Als sie Emilios schockierten Blick auffing – offensichtlich erinnerte auch er sich an diese unsägliche Geschichte –, hätte sie die Worte am liebsten zurückgenommen.
Warum musste sie jetzt davon anfangen? Sie hatte sich doch so fest vorgenommen, den Vorfall von damals mit einem Schulterzucken abzutun, falls die Sprache darauf kommen sollte. Nun hatte sie sich verraten, und Emilio wusste, wie sehr sie noch immer unter der Vergangenheit litt.
„Du spielst auf den Abend an, als dieser Loser dich angemacht hat.“
Seine Kurzdarstellung entlockte Megan ein freudloses Lachen. „Du meinst das unschuldige Opfer, dem ich schöne Augen gemacht habe?“ O je, das klang sehr verbittert.
Ein Muskel an Emilios Wange zuckte. Megan hätte schwören können, dass er sich plötzlich unwohl fühlte in seiner Haut.
Er fuhr sich übers Gesicht und stöhnte ärgerlich. „Ich war damals wütend.“ Eigentlich war er von dem Moment an zornig gewesen, als sie am Abend zuvor ins Zimmer gekommen war, nach Sommer geduftet und ausgesehen hatte, als wäre sie wie für ihn gemacht.
Megan lachte. „Darauf wäre ich niemals gekommen.“
Emilio schämte sich noch immer, weil er damals die Beherrschung verloren hatte. Das war ihm nur ein einziges Mal in seinem bisherigen Leben passiert. „Die Situation war …“
Gespannt zog Megan eine Augenbraue hoch.
„Die Situation hat mich überfordert.“
Das war ja nun eine ziemlich dürftige Entschuldigung. „Nur weil du der Kumpel meines Bruders warst, hattest du noch lange nicht das Recht, dich als Moralapostel aufzuspielen und mich zu verurteilen.“
„Ich habe dich nicht verurteilt. Ich wollte dich beschützen.“
„Aber ich habe mich nicht beschützt, sondern besudelt gefühlt, als hätte ich etwas Verabscheuungswürdiges getan.“
Emilio sah sie schockiert an. „Das war nicht meine Absicht.“
Absicht oder nicht, das Ergebnis blieb gleich. „Ist ja auch egal. Das liegt schon so lange zurück.“
„So lange nun auch wieder nicht, und offensichtlich spielt es eine Rolle.“ Schuldbewusst schaute er sie an.
„Ach, Emilio, wir sollten das Thema jetzt wirklich beenden.“
„Ich habe mich unmöglich benommen.“
Er hatte völlig die Kontrolle verloren, als der Typ behauptet hatte, Megan hätte ihm Avancen gemacht. Am liebsten hätte er ihn umgebracht.
Erst jetzt wurde Emilio bewusst,
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