Julia Extra Band 0347
diesem entscheidenden Moment eine so intensive Eingebung hatte, dass ihr noch Stunden danach ganz kalt war.
Noah küsste die Braut, ohne den sorgenvollen Schimmer in ihren Augen zu sehen. Aber er war nicht besonders geschult, hinter die emotionale Fassade anderer Menschen zu blicken. Geschweige denn die Tür zu seinem eigenen Unterbewusstsein zu öffnen.
Ein Raunen ging durch die Menge, als der Bräutigam überraschend eine Hochzeitsreise nach Paris ankündigte. Nur wenig später fuhr Noah mit einer ungewöhnlich stillen Grace zum Bahnhof, um mit ihr den nächsten Schnellzug zu erreichen. Am frühen Abend waren sie bereits in Paris, der Stadt der Lichter und der Liebe.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich wirklich hier bin“, sagte Grace, als sie Hand in Hand den Boulevard St. Germain entlangschlenderten. „All diese kleinen Cafés mit Korbstühlen, Markisen und Kellnern in langen weißen Schürzen. Genau, wie ich es mir immer vorgestellt habe.“
Noah lächelte und zog sie in eine kleine, mit Kopfstein gepflasterte Seitenstraße zu einem ungewöhnlich aussehenden Restaurant. „Man muss wenigstens einmal im Procope gegessen haben“, erklärte er, während ein Kellner sie zu einem Tisch führte. „Selbst wenn die Reiseführer es als Touristenfalle darstellen. Das Essen ist spektakulär.“
Grace sah sich in dem gemütlich altmodischen Raum um. Kristalllüster hingen von der Decke, und die Wände zierten zahlreiche ornamentverzierte Spiegel sowie Ölporträts alter Männer aus dem 17. Jahrhundert.
Das Essen war wirklich ausgezeichnet, angefangen vom köstlichen Lauchsalat bis hin zum berühmten Coq au Vin, der in einem Kupfertopf serviert wurde. Doch während des Hauptgangs verlor Grace plötzlich den Appetit.
Noah legte sein Besteck zur Seite und sah sie durchdringend an. Seitdem sie vor einem Monat seinen Heiratsantrag angenommen hatte, war ihr immer wieder derselbe Ausdruck in seinen Augen aufgefallen. Als könnte er tief in ihre Seele blicken und ihre Gedanken lesen. Das war irritierend. Besonders was ihren momentanen Gedankengang anbetraf.
„Ich weiß, es ist alles schneller gegangen, als wir gedacht haben, Grace.“
Oje! Er hatte sie durchschaut. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht.
„Heute ist zwar unsere Hochzeitsnacht, aber wenn du nicht möchtest … ich meine, wir haben noch so viel Zeit vor uns. Es gibt keine Eile.“
Er war so einfühlsam, dass Grace am liebsten angefangen hätte zu weinen.
„Danke, Noah.“
Ihr Herz schwoll an, und das erste Mal seit dieser unerwarteten Hochzeit wurde ihr bewusst, wie glücklich sie sich schätzen konnte, diesen Mann gefunden zu haben.
„Um ehrlich zu sein … ich weiß nicht, wie ich mich momentan fühle. Es war alles so …“
Er griff über den Tisch und nahm ihre Hand. „Das ist mir bewusst. Mach dir keine Sorgen. Wir werden im Laufe der Zeit herausfinden, welche Gefühle wir füreinander haben.“
Es war bereits spät, als sie ins Hotel zurückkehrten. Grace machte sich bettfertig und verfluchte insgeheim das hauchdünne Trägerhemdchen, das sie dank Daisys Überredungskünste gekauft hatte. Nachdem sie die Zähne geputzt hatte, setzte sie sich auf den Toilettendeckel, während ihr linkes Bein unaufhörlich auf und ab wippte.
Erst einmal tief durchatmen. Es war doch nichts Besonderes. Es war nur …
Sie machte sich etwas vor. In Wirklichkeit hatte sie Angst, wesentlich mehr als beim tatsächlich ersten Mal. Was war los mit ihr? Noah war hinreißend und ausgesprochen sexy. Wollte sie wirklich nicht mit ihm schlafen?
Zur Hölle, ja! meldeten sich ihre Hormone.
Trotzdem kam ihr linkes Bein nicht zur Ruhe.
Sie stand auf und ging ins Schlafzimmer, wo Noah nur mit einer dunklen Pyjamahose bekleidet an einem der bodenlangen Fenster stand und in die Nacht hinaus sah.
Er drehte sich um und kam ihr mit dunkel glänzenden Augen entgegen. Zärtlich strich er ihr über die Wange und den Nacken. Grace hielt den Atem an. Dann gab er ihr einen langen weichen Kuss, der bestimmt nur der Auftakt für Weiteres sein sollte.
Aber Grace schien neben sich zu stehen. Unschlüssig überlegte sie, ob sie ihn auch berühren sollte. Aber wo?
Noah beendete den Kuss und lehnte seine Stirn an die ihre.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie.
Er schüttelte beschwichtigend den Kopf.
„Wirklich. Es ist so lange her, dass ich das letzte Mal mit jemandem … Ach, eigentlich ist es doch gar kein Problem … wir sollten es einfach tun …“
Ohne etwas zu
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