Julia Extra Band 0347
sagen, legte er den Finger auf ihren Mund. Grace starrte ihn wie gebannt an. Er tat es schon wieder – er schien ihre Gedanken zu lesen.
Er führte sie zum Bett und zog sie sanft herunter, sodass sie mit dem Gesicht von ihm abgewandt lag.
„Schlaf jetzt, Grace“, sagte er und legte sich dicht hinter sie.
„Aber …“
„Schlaf einfach, Grace.“
Ihre Nerven lagen blank. Ein Teil von ihr schrie frustriert auf, während der andere erleichtert aufseufzte. Obwohl sie sich in den letzten Wochen oft geküsst und berührt hatten, fühlte es sich immer noch künstlich und gezwungen an. Noah war viel auf Reisen gewesen, und sie hatten wenig Möglichkeit gehabt, ruhige Momente miteinander zu verbringen.
Erst jetzt gelang es ihr, die Spannung aus ihrem Körper zu lassen und die Wärme seines Körpers zu genießen. Sie spürte, dass er bereit für sie war. Sie war es jedoch nicht. Mit Tränen in den Augen umfasste sie seine Hand und küsste seine Fingerknöchel.
„Gute Nacht, Noah“, flüsterte sie heiser.
Als Grace am nächsten Morgen aufwachte, lag Noah immer noch in der gleichen Stellung dicht neben ihr. Sie drehte sich um und betrachtete ihn. Noch nie hatte sie ihn schlafend gesehen. Er wirkte jünger, fast knabenhaft – trotz der Falten und der grauen Schläfen.
Er öffnete die Augen und sah in ihr lächelndes Gesicht.
„Was ist so lustig?“, fragte er und rieb sich die Lider.
„Es ist schön, dich auch mal entspannt zu sehen.“
Er gähnte. „Wie spät ist es?“
Grace sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. „Neun.“
„Neun Uhr!“ Noah sprang aus dem Bett und rannte ins Badezimmer. „Ich schlafe nie so lange. Das muss dein schlechter Einfluss sein.“
Grace sank wieder ins Bett zurück und streckte sich. Er war wunderbar. Keine Bemerkung über letzte Nacht kam über seine Lippen.
„Warum hast du es denn so eilig?“
Sein Kopf erschien in der Badezimmertür. „Wir sind nur drei Tage in Paris, und ich möchte dir alles zeigen.“
Grace setzte sich auf. „Alles?“
„Fast alles. In drei Monaten muss ich wieder hierher. Was wir dieses Mal nicht schaffen, können wir dann nachholen.“ Er sah sie fragend an. „Worauf wartest du noch?“
Grace verschränkte die Arme vor der Brust. „Kaffee. Ich gehe nirgendwohin, bevor ich nicht einen Kaffee getrunken habe.“
Sie verließen das Hotel, um im Les Deux Magots mit warmen Croissants und starkem schwarzen Kaffee den Tag zu beginnen. Danach erklommen sie den Eiffelturm, standen staunend vor Monets Wasserlilien-Gemälden und saßen schließlich unter dem roten Baldachin eines Parkcafés in den Tuilerien-Gärten und verspeisten Baguette mit Schinken.
Noah hatte das alles schon häufig getan, doch mit Grace bekam das Erlebnis eine frische Note. Sie saugte jede Aussicht, jeden Geruch und Geschmack mit kindlicher Freude auf. Es gab noch einen Ort, den er ihr unbedingt zeigen wollte, ihn sich jedoch bis zum Schluss aufgehoben hatte.
Im Louvre reihten sie sich in die Touristenströme ein, standen vor der Mona Lisa und bewunderten die Venus von Milo.
Obwohl es ein so schöner Tag war, tat Grace ihm ein bisschen leid. Eigentlich sollte sie mit jemandem hier sein, der ihr die Liebe geben konnte, nach der sie sich sehnte. Aber er war Egoist und wollte sie um keinen Preis in den Armen eines anderen sehen.
Gegen 15 Uhr konnte Grace nicht mehr. Erschöpft ließ sie sich auf eine Bank in den Tuilerien fallen und weigerte sich, auch nur noch einen Schritt zu tun.
Noah zog sie an der Hand, bis sie schließlich aufstand. „Nur eine Station noch.“
„Muss das sein?“ Erschöpft lehnte sie sich an ihn.
„Ja, das muss sein. Es ist nicht weit. Gleich da drüben in der Rue de Rivoli.“
Unter den Arkaden der Rue de Rivoli befand sich ein Ort, der für Grace dem Himmel auf Erden gleichkam. Angelina. Das berühmte Café mit der besten heißen Schokolade und dem köstlichsten Gebäck von Paris.
In der Vitrine des alten geschwungenen Tresens lagen die reinsten Kunstwerke. Pinkfarbene Makronen mit Himbeeren gefüllt und zarten Silberblättern verziert. Grüne Pistazieneis-Bomben mit rosafarbener Glasur, Eclairs, Mille Feuilles, Torten … Diese Herrlichkeiten verspeisen zu wollen, kam einer Sünde gleich.
Nachdem sie an einem kleinen Tisch neben einer Marmorsäule Platz genommen hatten, wusste Grace sofort, was sie bestellen würde. Mont Blanc, diese Köstlichkeit aus Baiser, überzogen mit Maronenpüree, für die das Haus berühmt war. Dazu natürlich
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