Julia Extra Band 0347
der für diese kurze Zeit ihr Zuhause war.
Noch immer konnte sie kaum fassen, dass der Palast das ständige Zuhause ihrer Schwester war. Zwischen dem Leben, das Felicity jetzt führte, und dem kleinen Haus in England, in dem sie beide aufgewachsen waren, lagen Welten. Das Haus in England, das Georgie nie als ihr Zuhause angesehen hatte, aus dem sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit weggelaufen war …
Seltsam, aber die Palasttüren öffneten sich dieses Mal nicht wie sonst wie von Zauberhand, als Georgie die Stufen der breiten Außentreppe hinaufstieg. Sie fragte sich bereits, ob es hier überhaupt so etwas wie eine Klingel gab, als die Tür doch aufgezogen wurde und Ibrahim im Rahmen erschien.
„Wo ist Felicity?“ Georgie schaute sich um und runzelte verwundert die Stirn. Zwei Zofen eilten durch die große Halle, ohne sich wie üblich vor Ibrahim oder ihr zu verbeugen.
„In der Klinik. Dschamila bekommt ihr Baby. Deshalb sind die Dinge hier ein wenig chaotisch. Sie versuchen, Hassan zu erreichen.“
„Ich dachte, es sei nur falscher Alarm. Es ist doch noch viel zu früh.“
Im Gegensatz zu Georgie blieb Ibrahim völlig gelassen. „Deine Schwester meinte auch, es sei zu früh, aber in Ordnung. Mein Vater ist bereits auf dem Weg zum Krankenhaus. Felicity wollte dir noch eine Botschaft ins Badehaus zukommen lassen, aber dann ging alles so schnell … Sonst hätte man uns sicher nicht allein zurückgelassen.“
Man hatte ihn also offensichtlich vor ihr gewarnt, das sollte das wohl heißen. „Wo ist Azizah?“
„Das Kindermädchen macht sie gerade fertig und kommt mit ihr zum Wagen. Du solltest auch zusammensuchen, was du brauchst. Wir fahren gleich los.“
„Wohin?“
„Na, zur Klinik.“
„Wieso ich?“
„Du gehörst zur Familie“, sagte Ibrahim, „und es ist die Geburt des nächsten Königs. Wieso also solltest du nicht dabei sein?“
„Vielleicht, weil ich mit der Schwägerin meiner Schwester bisher nicht einmal ein Wort gewechselt habe?!“
Felicity hatte sie gewarnt, den Mund nicht zu weit aufzureißen. Georgie fragte sich, ob sie genau das soeben getan hatte. Doch Ibrahims Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Das war ihr schon lange nicht mehr vergönnt gewesen.
Dann allerdings erinnerte er sich. Das Lächeln erstarb, und seine zynischen Worte klangen streng. „Ich freue mich genauso wenig darauf wie du, aber wir haben keine Wahl.“
„Niemand wird bemerken, wenn ich nicht dabei bin …“
„Oh doch, das werden sie“, widersprach er sofort. „Du bringst nämlich Azizah.“
„Ich bin gar nicht dafür angezogen …“ Sie sah an sich herunter. Das weiße Kleid war zerknittert, ihr Haar schwer von den Massageölen, und sie trug keinerlei Make-up. Es war völlig undenkbar, sich so vor der königlichen Familie zu präsentieren. Doch da brachte eine Zofe schon einen langen Schleier für sie, und Georgie war dankbar für den verhüllenden Stoff, der ihr Anonymität gewährte. Ohne den Schleier hätte sie nicht gewusst, ob sie es überstanden hätte.
Vor allem, als sie die Polizeimotorräder vor der beflaggten Limousine stehen sah. „Das ist ja wie bei der königlichen Parade.“
„Genau das ist es auch“, gab Ibrahim ungerührt zurück.
In der einen Minute entspannte sie sich noch mit ihrer Schwester im Badehaus und in der nächsten war sie auf einmal als Mitglied der bedeutendsten Familie in Zaraq zu sehen! „Warum sind die Scheiben nicht dunkel getönt?“
„Es ist ein offizieller Anlass. An einem Tag wie diesem will das Volk seine Königsfamilie sehen.“ Aber vielleicht hatte er die Panik in ihrem Blick ja missverstanden. „Wenn du möchtest, können wir auch in separaten Autos fahren …“
„Nein“, erwiderte sie heiser. „Bleib.“
Diese Frau ist komplex und kompliziert, dachte Ibrahim, als er zu ihr auf die Rückbank glitt. Nach außen hin wirkte sie selbstsicher und unabhängig, trotzdem … Er warf einen Seitenblick auf sie, aber sie sah starr geradeaus. Ihr haftete eine Zerbrechlichkeit an, die sein Bruder wohl nicht gesehen hatte. An einem Tag wie heute konnte er sie nicht allein lassen.
„Da der König eingetroffen ist“, versuchte er sie auf das vorzubereiten, was sie erwartete, „wird sich inzwischen auch eine aufgeregte Menschenmenge vor der Klinik versammelt haben.“
Das, was sie tatsächlich erwartete, konnte Georgie gar nicht alles aufnehmen. Später würde sie die Szenen noch hundertmal in ihrem Kopf abspielen, aber im Moment sah sie nur
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