Julia Extra Band 0347
auffällig war, als dass man sie jemals vergessen könnte. Als das Schweigen anhielt, ging Katherine in die Offensive.
„Gibt es ein Problem, Mr de Sousa?“
„Ich hatte einen Mann erwartet“, gestand er unumwunden.
Katherine war überrascht. „Mr Massey hat Sie doch darüber informiert, dass er mich als Vertretung schickt.“
„Das ist richtig“, erwiderte er kühl. „Allerdings hat er mich nicht darüber aufgeklärt, dass Dr. Lister eine Frau ist.“
„Wo ist das Problem?“, entgegnete Katherine mit wachsender Empörung. „Ich bin für eine Expertise ausreichend qualifiziert, Senhor de Sousa. Gut, ich bin vielleicht nicht so lange im Geschäft wie Mr Massey, aber erfahren genug, um eine fachlich fundierte Meinung über Ihr Gemälde abgeben zu können.“ Sie hielt inne, doch es erfolgte keine Antwort. Die Anziehung, die sie verspürte, beruhte ganz offensichtlich nicht auf Gegenseitigkeit. „Wenn Sie auf einen männlichen Experten bestehen, werde ich natürlich sofort wieder abreisen. Allerdings hätte ich vorher gerne noch eine Tasse Tee.“
Roberto de Sousa wirkte schockiert. Er klatschte in die Hände, worauf Jorge mit einem Tablett in den Händen auftauchte. „Warum wurde Dr. Lister kein Tee angeboten?“
„Desculpe me, Doutora“, sagte Jorge zu Katherine. „Ich habe auf den Patrao gewartet.“
„Ein Gast sollte auch in meiner Abwesenheit bewirtet werden“, meinte Roberto de Sousa schroff. „Bitte, nehmen Sie Platz, Dr. Lister.“
Jorge schenkte in eine der beiden Tassen Tee, in die andere Kaffee ein und bot Katherine eine Platte mit Gebäck an, das sie jedoch mit freundlichem Lächeln ablehnte.
Roberto de Sousa nahm Katherine gegenüber Platz und verfiel wieder in sein düsteres Schweigen. Soll er doch bis in alle Ewigkeit verstockt vor sich hin brüten, dachte Katherine gereizt. Sicher, er sieht sagenhaft gut aus, aber sobald ich den Tee getrunken habe, werde ich ihn bitten, mir ein Taxi nach Viana do Castelo zu organisieren.
„Wie lange kennen Sie Mr James Massey schon?“, fragte er plötzlich.
„Mein ganzes Leben lang“, erwiderte sie knapp.
„Ist er ein Verwandter?“
„Nein, aber ein enger Freund meines Vaters. Woher kennen Sie ihn denn, Mr de Sousa?“
„Er hat einen hervorragenden Ruf, und darüber hinaus habe ich im Internet Informationen über ihn eingeholt. Meine Recherchen haben ergeben, dass er für die Begutachtung meines Gemäldes der beste Mann ist. Ich habe es für sehr wenig Geld erstanden – für einen Apfel und ein Ei, wie es so schön heißt.“
„Aber Sie halten es für wertvoll?“
Roberto de Sousa winkte ab. „Der Wert ist unwichtig. Es ist nicht für den Wiederverkauf gedacht. Mich interessiert die Identität des Künstlers und, wenn möglich, die des Modells.“ Erneut schwieg er. „Wenn Sie es begutachten würden“, sagte er dann, „wäre ich Ihnen sehr dankbar … Dr. Lister.“
Katherines erster Impuls war ein klares Nein. Doch da sie die Massey Galerie vertrat und außerdem neugierig auf das Bild war, überlegte sie es sich anders. Um den Stolz zu wahren, tat sie, als müsste sie darüber nachdenken. Schließlich nickte sie. „Da Sie so großzügig für meine Zeit bezahlen, bleibt mir keine andere Wahl.“
„ Obrigado, Dr. Lister. Sie werden das Gemälde morgen früh, bei hellem Tageslicht sehen. Mr Massey hat mich gewarnt, dass man das Bild wahrscheinlich erst säubern muss, bevor man irgendetwas dazu sagen kann.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Sie sind nach der langen Reise sicher müde. Ruhen Sie sich eine Weile aus. Wir sehen uns dann zum Dinner.“
Aha, sie würde also die Ehre haben, mit ihm zu speisen, dachte sie, während sie aufstand. „Vielen Dank, Mr de Sousa.“
„De nada.“ Er hielt einen Moment inne. „Eine Kleinigkeit noch. Die korrekte Anrede ist Mr Sousa.“
„Gut. Ich werde es mir merken.“
Er begleitete sie durch die Halle. „ Ate logo – bis später, Dr. Lister.“
Sie nickte und erklomm hoch erhobenen Hauptes die gewundenen Treppen.
Roberto de Sousa sah ihr nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Tief in Gedanken versunken kehrte er dann auf die Veranda zurück. Er setzte sich hin und rieb abwesend sein Bein, das ihm höllisch wehtat, wenn er zu lange stand. Seine überraschte Reaktion über die Tatsache, dass Dr. Lister kein Mann war, hatte seinen Gast offensichtlich – und zu seinem Bedauern – gekränkt. Rein theoretisch hatte er kein Problem mit einer weiblichen
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