Julia Extra Band 0347
er.
„Na, zum Glück bliebt mir das erspart. Wie heißt mein Pferd überhaupt?“
„Garoto, das heißt Junge. Komm, wir reiten zur Rinderherde. Dann kannst du unsere Männer bei der Arbeit bewundern.“
Schon nach wenigen Minuten hatte sich Katherine an den Sattel und die Gangart des Pferdes gewöhnt und konnte die weite Landschaft in vollen Zügen genießen. „Was ist das für ein Gefühl, Roberto, wenn man weiß, dass einem das ganze Land bis hin zum Horizont gehört?“
„Es erfüllt mich mit Stolz. Das ist minha terra “, sagte er, während er mit einer weit schweifenden Handbewegung über das wogende Grasland der Pampa deutete. „Ich habe das Leben als Rennfahrer geliebt, doch inzwischen bin ich mit Leib und Seele Gaucho.“
Inzwischen waren sie nahe genug an der Herde, um die tiefen Laute und das Stampfen der Tiere zu hören. Garoto begann nervös zu tänzeln, sodass Katherine die Zügel straff ziehen musste, während sie fasziniert zusah, wie Reiter und Hunde die Herde umkreisten und durch Gatter trieben, die zwischen den Weiden aufgestellt waren. „Fantastisch! Wie viele Rinder sind das?“
„Etliche Hundert“, rief Roberto zurück. Seine Zähne blitzten weiß in seinem gebräunten Gesicht, und seine Augen funkelten verwegen. „Bleib in meiner Nähe.“
Katherine ritt dicht hinter ihm, während die letzten Ausreißer umzingelt wurden, wobei die Männer unter lautem Johlen lange weiße Schals in der Luft schwenkten. „Bleiben die Tiere jetzt hier?“
„Ja, aber nur, weil Weihnachten ist und die Männer die Feiertage mit ihren Familien verbringen wollen. Danach werden die Rinder auf entferntere Weiden getrieben und …“ Leise fluchend hielt Roberto inne, als einer der Reiter in wildem Galopp auf sie zukam.
„Bom dia!“, rief eine unverkennbar weibliche Stimme. Die Reiterin zügelte ihr Pferd, taxierte Katherine kurz und wandte sich dann desinteressiert ab, als wäre Katherine für sie keine Konkurrenz.
„Was machst du denn hier, Gloria?“, fragte Roberto.
Ein unschuldiger Ausdruck trat in die großen dunklen Augen der Frau. „Ich habe gehört, dass du Besuch hast, und wollte deinen Gast kennenlernen.“
„Hallo“, sagte Katherine höflich. „Ich bin Katherine Lister.“
„Das ist Gloria Soares, die Tochter eines Nachbarn“, erläuterte Roberto kurz angebunden.
„Senhor Geraldo will dich sprechen, Roberto“, verkündete Gloria. „Geh ruhig. Ich werde Miss Lister auf einen Kaffee einladen.“
„Dr. Lister“, verbesserte Roberto sie und meinte an Katherine gewandt: „Es wird nicht lange dauern.“
Gloria holte eine Thermoskanne aus der Satteltasche, schraubte die Tasse ab und goss Kaffee ein.
„Bleiben Sie lange hier?“, erkundigte sie sich, während sie Katherine den dampfend heißen Kaffee reichte.
„Nur über die Feiertage.“
„Müssen Sie dann wieder ins Krankenhaus zurück?“
Verwirrt blinzelte Katherine. „Äh … nein. Ich bin keine Medizinerin, sondern Kunsthistorikerin.“
Ausdruckslos starrte die Frau sie an. Als sie sah, dass Roberto zurückkam, verzog sie den Mund zu einem künstlichen Lächeln, beugte sich dann nach vorne und riss grob an Garotos Zügel. „Roberto gehört mir“, zischte sie.
Beim Versuch, das nervöse Pferd unter Kontrolle zu bekommen, verschüttete Katherine den Kaffee. Sie warf Gloria die leere Tasse zu. „Danke.“
„Komm, Katherine!“, rief Roberto und schob sein Pferd zwischen die beiden Frauen. „Wir müssen zurück. Bis dann, Gloria.“
„Bis morgen“, gab sie zurück.
Sie hob grüßend die Peitsche und zog dann aus purer Effekthascherei die Zügel so straff an, dass sich das Pferd aufbäumte. Das war zu viel für Garoto – er geriet in Panik und ging durch. Katherine schrie auf und versuchte, sich irgendwie auf dem ungewohnten Sattel zu halten, während Garoto auf eine Baumgruppe zugaloppierte.
„Achtung, Katherine!“, schrie Roberto, der ihr hinterherjagte.
Instinktiv duckte sie sich, um den Ästen auszuweichen. Völlig außer sich buckelte Garoto, warf Katherine ab und raste davon.
Roberto sprang von seinem Pferd, schlang die Zügel um einen Ast und ließ sich neben Katherine auf die Knie sinken. „Bist du verletzt?“, fragte er ängstlich.
„Ich hab mich nur erschrocken“, keuchte sie.
Vorsichtig strich Roberto über ihre Arme, Beine und Rippen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass nichts gebrochen war, hob er Katherine hoch und trug sie zu seinem Pferd. „Deus“, stöhnte er.
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