Julia Extra Band 0350
beauftragen. Jetzt hat er Alyona gefunden. Wie es scheint, lebt sie in Kalifornien.“ Er schüttelte den Kopf, als könnte er es immer noch nicht glauben.
„Willst du dich bei ihr melden?“
„Ja … Nun, wir werden sehen.“ Wie würde Alyona reagieren? Würde sie sich überhaupt noch an ihn erinnern?
Hannah, die seine Zweifel spürte, ging zu ihm und nahm ihn in die Arme.
Es wurden drei himmlische Tage auf dem Land voller Harmonie und Zärtlichkeit. Und wenn Sergej im Hinterkopf Sorge wegen des möglicherweise bevorstehenden Kontakts zu Alyona haben mochte, ließ er es Hannah nie merken.
Längst hatte sie sich eingestanden, dass sie ihn liebte, und war zuversichtlich, dass es eine gemeinsame Zukunft für sie geben würde.
Drei wundervolle Tage, dann zerbrach die Idylle. Alles begann mit einem Anruf. Auf einem Spaziergang läutete Sergejs Handy. Er nahm den Anruf entgegen, und Hannah erstarrte unwillkürlich, als sie sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte.
„Was ist passiert?“, fragte er schroff. Mehr verstand sie nicht, denn den Rest des Gesprächs führte er auf Russisch. Doch sein Ton verriet deutlich, dass ihre unbeschwerte Zeit vorbei war.
„Wir müssen sofort nach Moskau zurück“, sagte er, sobald er das Handy wieder in die Tasche gesteckt hatte.
„Ist etwas passiert?“, erkundigte sich Hannah besorgt.
„Varya“, antwortete er nur.
Sie packten schweigend und in aller Eile. Sogar der Himmel hatte sich zugezogen, und als Sergej die Koffer in den Wagen lud, fielen die ersten, schweren Tropfen.
„Was ist mit Varya?“, wagte Hannah schließlich zu fragen, als sie schon ein Stück durch den strömenden Regen gefahren waren.
„Sie ist verletzt. Wieder einmal.“ Sergejs Miene war wie versteinert. „Varya gerät ständig in Schwierigkeiten. Ich … habe versucht, ihr zu helfen, aber sie wehrte sich dagegen. Wie du schon sagtest, man kann niemanden zu seinem Glück zwingen.“
Als sie in Moskau ankamen, hatte es aufgehört zu regnen. In den Wolkenlöchern zeigte sich zögernd der blassblaue Himmel, als Sergej auf den Parkplatz eines der besten Krankenhäuser Moskaus fuhr.
Ärzte und Krankenschwestern schienen zu wissen, wer er war, denn sie grüßten ihn mit sichtlichem Respekt. Vor Varyas Zimmer wurden sie von Grigori erwartet, der so übermüdet und verzweifelt aussah, dass es Hannah in der Seele wehtat. Er unterhielt sich mit Sergej auf Russisch, der ihm tröstend eine Hand auf die Schulter legte. Schließlich ging Sergej, um mit den Ärzten zu sprechen, und verschwand dann allein in Varyas Zimmer.
Hannah setzte sich ins Wartezimmer, und Grigori folgte ihr. Scheu lächelnd nahm er neben ihr Platz. „In Russland gibt es ein Sprichwort, das ungefähr bedeutet: Die Liebe ist wie eine Maus, die in eine Schachtel fällt. Es gibt keinen Ausweg.“
Sie erwiderte sein Lächeln. „Das ist ja ein deprimierendes Sprichwort.“
„Aber wahr, oder nicht?“
„Mag sein“, räumte sie ein, bevor der Groschen fiel. „Sie lieben Varya?“
Er nickte resigniert. „Seit wir Kinder waren. Schon im Waisenhaus waren wir beide ein seltsames Paar von Träumern. Sergej hat uns schon damals immer beschützt.“
„Ja, das kann ich mir gut vorstellen“, sagte Hannah gerührt.
„Und später … Sergej ist ein Jahr älter als wir, deshalb verließ er zuerst das Waisenhaus. Und als Varya und ich sechzehn wurden, kam er, um uns zu holen. Es ist … ganz schön beängstigend, auf der Straße zu leben, ohne etwas anderes zu besitzen als die Kleidung, die man trägt. Aber so war das damals. Sergej hat immer dafür gesorgt, dass wir etwas zu essen hatten und einen Unterschlupf, aber Varya … Ein Typ wurde auf sie aufmerksam, der schon zwanzig war. Der Chef einer Gang. Das war nicht gut für sie. Sergej hat versucht, sie zu beschützen, aber Varya ließ es nicht zu. Sie ist sehr stolz. Und gleichzeitig schämt sie sich für das, was sie ist. Und als Sergej dann auch noch ins …“ Grigori verstummte, und schüttelte den Kopf. „Ich rede zu viel. Es würde Sergej nicht gefallen, dass ich das alles erzähle.“ Er sah Hannah an und lächelte zögernd. „Sie lieben ihn, stimmt’s?“
Sie nickte errötend. „Ja.“
„Das ist gut. Die Liebe einer Frau hat ihm gefehlt. Ein anderes russisches Sprichwort lautet: Man kann nicht ohne die Sonne leben, so wie man nicht ohne seine Geliebte leben kann.“ Die Tür zum Wartezimmer wurde geöffnet, und Grigori stand auf. „Ich bete, dass alles für Sie gut
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