Julia Extra Band 0354
das duftende Duschgel mit dem Schwamm auf Armen und Dekolleté. Oscar! Allein die Erinnerung an ihn erregte sie, und sie verspürte wieder dieses sehnsüchtige Ziehen im Bauch.
Immer noch hatte er dieselbe Wirkung auf sie wie vor zehn Jahren. Heute wie damals reichte ein Blick von ihm, um sie zum Schmelzen zu bringen. Eine leichte Berührung seiner Hand bei der Begrüßung, und schon war ihr die Hitze ins Gesicht gestiegen.
Und das, obwohl sie längst kein leicht zu beeindruckender Teenager mehr war, sondern eine selbstbewusste und beruflich erfolgreiche Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand. Der Weg dorthin war nicht einfach gewesen, und sie hatte viele Tränen weinen müssen, um Oscar zu vergessen und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft endlich zu begraben.
Doch sie hatte es geschafft. Sie hatte sich nicht hängen lassen, sondern ihr Schicksal in die Hand genommen. Sie hatte nicht nur Karriere gemacht, sondern es war ihr auch gelungen, sich in Londons schnelllebiger Atmosphäre einen festen Freundeskreis aufzubauen. Sie hatte gelernt, ohne ihn auszukommen.
Jetzt stand sie das zweite Mal vor einer Feuerprobe. Wieder hatten sich ihre Wege gekreuzt. Würde sie damit umgehen können? Würde es ihr gelingen, ihm mit freundlicher Distanziertheit zu begegnen? Glücklicherweise war die Aufgabe, die sie miteinander zu bewältigen hatten, völlig unromantischer Natur: Oscar und sie mussten ein Testament vollstrecken.
Helena seufzte, stellte das Wasser ab und nahm ein Handtuch vom Haken. Die Ereignisse des heutigen Tages hatten sie wieder mit dem Problem konfrontiert, gegen das sie schon die ganzen Jahre ankämpfte: Sie war unfähig, über längere Zeit eine Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten.
Vor zwei Monaten war es zu einem Bruch mit Mark gekommen – für sie völlig überraschend und schmerzlich. Er hatte sie wegen einer anderen verlassen. Besonders unangenehm war dabei, dass sie Mark und „die Liebe seines Lebens“ – so hatte er sie ihr präsentiert – bei allen möglichen Gelegenheiten traf. Die beiden schienen im siebten Himmel zu schweben.
Und als ahne er etwas von ihrem unglücklichen Liebesleben, verfolgte ihr Boss sie seit geraumer Zeit hartnäckig mit seinen Aufmerksamkeiten. In den letzten Wochen war Simon Harcourt so aufdringlich geworden, dass sie keine andere Möglichkeit als die Kündigung sah, obwohl sie damit ihr Haus verlieren würde.
Und jetzt hatte sie auch noch Oscar wiedergetroffen! Helena fühlte sich dem Sturm der Gefühle nicht gewachsen. Am liebsten hätte sie sich auf eine einsame Insel zurückgezogen, um Abstand zu gewinnen und ihr Leben neu zu überdenken.
Sie hielt den Atem an. Isobel. Hatte sie ihr womöglich einen Rettungsanker zugeworfen? Ließ sich die Idee realisieren?
Warum nicht! Was sprach dagegen, vorübergehend nach Mulberry Court zu ziehen, das sonst die nächsten zwölf Monate leer stand? Dort hatte sie Zeit und Muße, um mit sich ins Reine zu kommen – außerdem würde sie sich vor Ort besser um die Haushaltsauflösung kümmern können als von London aus.
Je länger Helena über den Plan nachdachte, desto mehr begeisterte sie sich dafür. Die Bedingungen für eine Auszeit waren einfach ideal! Sie hatte genug gespart, um einige Monate überbrücken zu können, und sollte ihr Geld nicht reichen, würde sie in Dorchester bestimmt einen Aushilfsjob finden.
Sie biss sich auf die Lippe. Ein großes Fragezeichen gab es allerdings. Würde Oscar ihr die Bitte, vorübergehend in Mulberry Court zu wohnen, gewähren? Würde er den Wunsch nicht als unangebracht empfinden?
Nachdenklich ging sie ins Schlafzimmer. Sie schlug gerade die Bettdecke zurück, als ihr Handy summte. Es war eine SMS von Oscar: Er habe im Horseshoe Inn Zimmer reserviert und freue sich auf Freitagabend.
Wo er jetzt wohl gerade war? Helena klappte das Handy zu und legte sich hin.
Während das Testament ihr gesamtes Leben grundlegend veränderte, wurde Oscar davon wohl kaum berührt. Für ihn war der materielle Wert unbedeutend, und die Auflagen, die mit der Erbschaft verbunden waren, ärgerten ihn bestimmt. Er musste sich um Dinge kümmern, die unwesentlich waren und ihn lediglich von seinen eigentlichen Geschäften abhielten. Außerdem musste er sich mit ihr, Helena, einigen, was ihm gegen den Strich ging. Das hatte er sie durch sein Verhalten deutlich spüren lassen.
Helena kuschelte sich in ihre Decke und bedauerte wieder einmal, keine Geschwister oder sonstige Familie zu haben. Wie
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