Julia Extra Band 0354
schön wäre es jetzt, all ihre Sorgen einem geliebten Menschen anzuvertrauen. Gewiss, da war ihre beste Freundin Anna, doch es war bereits viel zu spät, um sie anzurufen.
So schnell, wie es gekommen war, verflüchtigte sich ihr Selbstmitleid auch wieder. Sie war es gewohnt, ihren Weg allein zu gehen, und war damit bisher äußerst erfolgreich gewesen. Auch in diesem Fall würde sie eine Lösung finden.
Was sie jetzt brauchte, war erst einmal Schlaf. Morgen früh würde die Welt dann wieder anders aussehen. Sie schloss die Augen, doch das erhoffte Vergessen trat nicht ein. Die Erinnerungen an Oscar ließen sich nicht ausblenden.
Helena fand das Horseshoe Inn ohne Schwierigkeiten. Das Landgasthaus schien ein ehemaliger Gutshof zu sein, denn es lag einsam zwischen ausgedehnten Ländereien und war von einem kleinen Park umgeben.
Die Bar war gut besucht, und als Helena eintrat, hob ein großer, bärtiger Mann hinter der Theke den Kopf. „Miss Kingston?“, fragte er. „Ich bin Adam. Mr Theotokis hat Sie angekündigt und ein Zimmer auf Ihren Namen reservieren lassen. Möchten Sie es gleich sehen oder lieber erst etwas trinken? Mit dem Essen können Sie sich ruhig Zeit lassen, bis Mitternacht haben wir warme Küche.“
Helena drehte sich um und blickte in das kleine Restaurant, in dem fast alle Tische besetzt waren. Das Ambiente gefiel ihr ausnehmend gut. Wenn das Oscars Geschmack war, teilte sie ihn. Wenigstens ein Punkt, in dem sie sich einig waren.
Sie lächelte. „Ich möchte erst in mein Zimmer und hätte dann gern ein Sandwich und ein Kännchen Tee – so etwa in einer Viertelstunde.“ Sie nahm ihre Reisetasche wieder auf und zögerte etwas. „Ist Mr Theotokis schon eingetroffen?“
„Nein.“ Adam holte den Zimmerschlüssel vom Brett und nahm Helena die Tasche ab. „Ich zeige Ihnen den Weg.“
Das im Landhausstil eingerichtete Zimmer war mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet und gefiel Helena ausnehmend gut. Hier ließ es sich aushalten. Sie blickte auf die Uhr. Es war schon sehr spät. Wo Oscar wohl blieb? In diesem Moment klingelte ihr Handy.
„Helena, leider ist mir etwas dazwischengekommen, ich werde erst in gut zwanzig Minuten im Hotel sein“, meldete sich Oscar. „Essen möchte ich nichts mehr, bestell aber bitte einen Whisky für mich. Wir sehen uns in der Bar. Ich beeile mich.“ Damit legte er auf.
Es dauerte noch eine gute halbe Stunde, bis er endlich eintraf. Helena hatte inzwischen ihren Tee getrunken, das Sandwich verzehrt und sich mit einem Glas Wein und dem Whisky für Oscar ein ruhiges Plätzchen gesucht.
Oscar entdeckte sie sofort, begrüßte sie kurz und nahm einen großen Schluck, gleich nachdem er sich gesetzt hatte. „Wie ich sehe, hast du gut hergefunden.“ Er atmete einmal tief durch. Wie merkwürdig, dachte er, dass sich meine Nerven in ihrer Gegenwart gleich so beruhigen.
Helena sah einfach bezaubernd aus, viel attraktiver, als er sie in Erinnerung hatte. Sie war lässig gekleidet, trug Jeans und einen modischen Pullover mit Blockstreifen. Die Haare hatte sie aus der Stirn gekämmt und im Nacken zusammengebunden.
Helena runzelte die Stirn. Oscar schien irgendwie bedrückt, das war ihr schon am Telefon aufgefallen. Wahrscheinlich war er genervt, weil er aufgehalten worden war – oder es passte ihm nicht, das Wochenende hier mit ihr verbringen zu müssen. Ihr Mut sank. Vielleicht empfand er sie einfach nur als lästig. Schließlich hinderte sie ihn an einer zügigen Regelung von Isobels Nachlass.
Ob er von ihr erwartete, zu all seinen Vorschlägen Ja und Amen zu sagen, nur weil er der mächtige Oscar Theotokis war? Sich gegen ihn durchzusetzen, würde nicht einfach sein. Im Moment wirkte Oscar wirklich alles andere als zugänglich.
„Lass uns alle Diskussionen auf morgen verschieben“, meinte er und griff wieder zum Glas. „Wir werden zeitig frühstücken, nach Mulberry Court fahren und zuallererst eine Bestandsaufnahme machen.“
Helena trank den letzten Schluck Wein und nahm ihre Tasche. „Deine Zeit ist knapp bemessen, das weiß ich. Trotzdem möchte ich mich in Ruhe im Haus umsehen und die lieb gewonnenen Erinnerungen auffrischen – besonders die an Isobel. Ihr Tod kam so überraschend, und noch nicht einmal zur Beerdigung konnte ich kommen. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht.“
„Ich habe mich auch gewundert, als ich dich bei der Trauerfeier nicht gesehen habe. Hat man vergessen, dir eine Karte zu schicken?“
„Nein, ich hatte eine
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