Julia Extra Band 0354
Ausland nachging und starb, als sie gerade dreizehn war.
„Wer lebt jetzt in unserem … im Gärtnerhaus?“, fragte sie Oscar.
„Der Mann heißt Benjamin. Er ist in die Fußstapfen deines Vaters getreten und arbeitet hier als Gärtner und Hausmeister.“
„Und Louise? Sie lebt doch auch noch hier, oder?“
„Ja, und sie wird auch hierbleiben und das Haus in Ordnung halten, bis alles geregelt ist. Im Moment besucht sie allerdings für einige Tage ihre Cousine in Durham.“
Arme Louise, dachte Helena traurig. Bald würde sie ihr schönes kleines Haus verlassen und sich neue Arbeit suchen müssen – wenn sie die in ihrem Alter überhaupt noch fand.
Zwei weitere Kurven, und sie hatten einen freien Blick auf Mulberry Court. Helena hielt den Atem an. Heute wie früher fühlte sie sich durch das Haus an die Märchen ihrer Kindheit erinnert. Oscar dagegen schien unbeeindruckt. Er parkte das Auto, half ihr beim Aussteigen, und Seite an Seite gingen sie die breite Freitreppe hoch. Vor der Tür blieb er stehen, zog seinen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss auf.
Helena blieb einen Moment auf der Schwelle stehen und atmete tief durch. Der für Mulberry Court typische Duft nach Blumen und Bienenwachs löste eine ganze Kette von Erinnerungen in ihr aus.
„Ich war schon so lange nicht mehr hier“, meinte sie versonnen. „Als mein Vater gestorben ist, war Isobel so lieb und hat hier eine kleine Gedenkfeier arrangiert. Es fand allerdings nicht im Haus selbst, sondern im Wintergarten statt. Ich glaube, ich war damals gar nicht hier im Foyer, insgesamt erinnere ich mich nur sehr verschwommen an jenen Tag.“
Oscar blickte sie von der Seite an. „Ich bin die letzten Jahre auch kaum hier gewesen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Irgendwie hat es nie so richtig gepasst.“
Schweigend gingen sie weiter. Oscar machte sich Notizen, während Helena sich einfach nur umsah. Alles war ihr so vertraut, es schien sich kaum etwas verändert zu haben. Selbst das frische Blumengesteck auf dem polierten Mahagonitisch im Esszimmer fehlte nicht.
Helena lächelte. Louise schien ihren ganzen Ehrgeiz daran zu setzen, den Haushalt auch über Isobels Tod hinaus so zu führen, wie diese es stets gewünscht hatte.
Im großen Salon mit dem Durchgang zum Wintergarten standen noch dieselben Möbel wie früher, nur die bodenlangen Vorhänge waren neu. Das kleine Zimmer daneben weckte die schönsten Erinnerungen. Wie viele Stunden hatte sie hier mit Isobel verbracht, Scrabble gespielt oder Spielfilme im Fernsehen geschaut.
Dann kam die Bibliothek, der Raum, den sie schon immer am meisten geliebt hatte. Ihr erster Blick galt dem beleuchteten Kabinettschrank: Ihre geliebten Porzellanfiguren standen dort unversehrt und schön wie eh und je. Erleichtert atmete sie auf. War das nicht der definitive Beweis dafür, dass alles nur ein böser Traum gewesen war?
Auch Isobels in Öl gemaltes Bildnis in dem schlichten Goldrahmen hatte nichts von seiner Magie verloren. Wie immer hatte Helena das Gefühl, Isobel persönlich gegenüberzustehen, so lebensecht war das Gemälde. Man hatte den Eindruck, sie würde sich jeden Moment von ihrem Stuhl erheben, um einem die Hand zu schütteln.
Die Frau auf dem Gemälde trug ein weich fließendes Kleid aus schimmerndem altrosa Stoff, ihr dichtes silbriges Haar war zu einer eleganten Frisur hochgesteckt. Und in ihren großen grauen Augen stand jenes gütige Lächeln, das Helena so geliebt hatte.
„Das muss man Isobel lassen, sie war wirklich eine unermüdliche Sammlerin“, bemerkte Oscar und deutete mit einer weit ausholenden Armbewegung auf all die Kunstschätze in der Bibliothek. „Erstaunlich, was sie so alles zusammengetragen hat.“
Schwang da nicht etwas Kritik mit? Helena runzelte die Stirn. Wahrscheinlich fand Oscar, der nur an Zweckmäßigkeit interessiert war, den Raum überladen. „Mag sein, aber Isobel hat mit Verstand gesammelt, jedes Stück passt genau dorthin, wo es steht. Ihr Geschmack war einfach bewundernswert.“ Sie sah ihn kämpferisch an. „Ich weiß nicht, wie du darüber denkst. Ich für meinen Teil bin jedenfalls dafür, zunächst alles an Ort und Stelle zu lassen. Wenn wir das Ensemble an Möbeln oder die Sammlung von Kunstgegenständen auseinanderreißen, zerstören wir genau das, was meiner Meinung nach potenzielle Käufer am stärksten beeindrucken wird: nämlich die Atmosphäre. So wie es ist, wirkt Mulberry Court wie ein geliebtes Heim. Wie ein Haus, in dem gelacht,
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