Julia Extra Band 0354
das einheimische Personal auszubilden. Jeder, der hier arbeitet, kommt aus Malawi.“
Wieder überkam Ella dieses fatale Gefühl der Zärtlichkeit für diesen Mann. Sie spürte förmlich, wie sie innerlich dahinschmolz. „Wie alt waren Sie, als Sie hierherkamen?“, fragte sie ihn, obwohl sie wusste, dass sie es besser lassen sollte. Es hatte nichts mit ihrer Geschäftsbeziehung zu tun und ging sie nichts an. Trotzdem konnte sie ihr brennendes Bedürfnis, mehr über ihn zu erfahren, nicht beherrschen.
„Ich war acht“, gab er ihr bereitwillig Auskunft. „Allerdings habe ich nicht auf der Insel, sondern auf dem Festland gelebt, ein wenig außerhalb von Mzuza. Meine Mutter hatte dort für Ärzte ohne Grenzen in einem Krankenhaus gearbeitet. Wir waren zwar nicht reich, aber auch nicht so verarmt wie so viele andere hier.“
„Aber warum hat Ihre Mutter Sie hierhergebracht?“ Ella wusste, dass Blaises Bruder nach der Scheidung der Eltern bei seinem Vater in Frankreich geblieben war.
„Es war ein Teil des Deals“, erwiderte er rau. „Mein Vater hatte ihr zugestanden, mich mitzunehmen, sofern sie im Gegenzug auf jeden weiteren Kontakt mit meinem älteren Bruder Luc verzichtete. Für den Fall ihrer Weigerung drohte er ihr an, dass sie weder mich noch Luc jemals wiedersehen würde.“
„Aber … warum hat er so etwas getan?“
Mit regloser Miene strich Blaise über den Stiel seines Weinglases. An seiner Wange zuckte ein kleiner Muskel. „Er war verletzt, weil sie ihn um die Scheidung gebeten hatte, und wollte ihr ebenfalls wehtun. Möglicherweise hat er auch im Stillen gehofft, sie auf diese Weise von ihrer Trennungsabsicht abbringen zu können. Ich glaube, er hat sie auf seine egoistische Art wirklich geliebt. Nur waren ihre Weltbilder viel zu verschieden, um sie auf Dauer mit der harten Realität in Einklang zu bringen.“
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln. „Was wieder einmal beweist, dass niemand aus seiner Haut kann und die Liebe eben doch nicht jedes Hindernis besiegt.“
„War es denn auch Ihr Wunsch, mit Ihrer Mutter mitzugehen?“, hakte Ella behutsam nach.
„Ja“, antwortete er, ohne zu zögern. „Und ich habe es nie bereut.“
„Und als Sie nach Frankreich zurückkehrten … haben Sie Ihren Vater dafür gehasst, dass er Sie damals praktisch verbannt hat?“
Blaise zuckte die Schultern. „Mein Vater ist ein harter Mann, für den Kontrolle in allen Lebensbereichen das A und O ist. Ich bin froh, dass ich nicht bei ihm groß geworden bin, aber ich hasse ihn nicht. Wir alle handeln mitunter erbärmlich, wenn nur genug Leidenschaft im Spiel ist“, fügte er mit einem Hauch von Bitterkeit in der Stimme hinzu.
Ella hatte den Verdacht, dass er bei seiner letzten Bemerkung mehr an sich selbst als an seinen Vater gedacht hatte. Bereute er inzwischen seine Affäre mit der Verlobten seines Bruders? Trotz ihrer Neugier verkniff sie es sich, ihn danach zu fragen. Ein allzu vertraulicher Austausch von Informationen würde ihre ohnehin schon schwierige Beziehung nur noch komplizierter machen.
„Da haben Sie sicher recht“, stimmte sie ihm zu, als wüsste sie genau, wovon er redete. Dabei war es in ihrem bisherigen Leben eher darum gegangen, alles zu vermeiden, was auch nur am Rande mit Leidenschaft zu tun hatte. Ausgenommen natürlich ihre Arbeit, in die sie ihre gesamte Energie steckte.
Seit ihrem Schulabschluss hatte sie beharrlich das Ziel verfolgt, eines Tages eine gefragte Designerin zu sein. Sie war nach Paris gegangen, um dort zu studieren, hatte lausig bezahlte Jobs angenommen und schließlich einen Kredit aufgenommen, um ihre erste Kollektion produzieren zu können und die Boutique anzumieten.
Nichts hatte sie von ihrem Ziel ablenken können, doch nun stellte sie fest, dass sich irgendetwas in ihr verändert hatte. Sie nahm die Schönheit der Landschaft wahr, den Geschmack des Essens, die sinnlichen Gerüche, die in der Luft lagen. Ihre Haut fühlte sich empfindlich an, ihr ganzer Körper vibrierte vor Lebendigkeit. Es war, als wäre sie plötzlich aus einem tiefen Dornröschenschlaf erwacht.
Blaise betrachtete sie unter halb geschlossenen Lidern, in seinen grüngolden Augen lag dasselbe Glitzern wie damals beim Ball der Herzen. Ella spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden. Prickelnde Schauer rieselten ihr über den Rücken, ihr Herz schlug so schnell, dass sie kaum noch Luft bekam.
Schließlich stand sie auf, ging ans Ende
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