Julia Extra Band 159
ich ihm vorgeschlagen, mich nach England zu begleiten." Veronica stand jetzt vor dem Bartresen und beugte sich vertraulich zu Cass. „Aber das kam für ihn natürlich zu überraschend. Ich bin erst jetzt darauf gekommen, daß Jules ja nicht einfach seinen Job hier aufgeben und Sie mit all der Arbeit sitzenlassen, kann. Außerdem scheint er noch andere ... Verpflichtungen zu haben", fügte sie mit einer vagen Handbewegung hinzu.
„Jules möchte Praslin gar nicht verlassen", sagte Cass freundlich, aber bestimmt.
„Nein?" Veronica schien das zu bezweifeln. Doch plötzlich hellte sich ihr Gesicht merklich auf. „Ich könnte hier ein Haus kaufen. Ja, das ist es, was ich tun werde! Ich kaufe ein Haus und eröffne ein Geschäft und ..."
„Das sind doch Tagträumereien", erwiderte Cass ruhig. Veronica verzog schmollend die Lippen. „Sie wollen nur nicht, daß Jules und ich ..."
Sie wurde von dem schrillen Klingeln des Telefons auf dem Bartresen unterbrochen.
„Entschuldigen Sie mich bitte", sagte Cass, drehte sich um und nahm den Hörer ab. „Hallo?"
„Ich möchte gern mit Oscar sprechen", ertönte eine männliche Stimme mit einem ausländischen Dialekt. „Hier ist Wilhelm, ich bin ein Freund von Oscar aus Österreich."
„Sie können Oscar nicht sprechen", sagte Cass. „Leider ist er vor einigen Monaten gestorben."
Am anderen Ende der Leitung herrschte einen Moment lang Schweigen. „Wie traurig", sagte dann der Mann. „Und wer sind Sie?"
„Mein Name ist Cass, ich bin Oscars Nichte."
„Auf Wiedersehen", sagte Veronica dazwischen.
Cass legte ihre Hand auf die Sprechmuschel. Die rothaarige Frau hatte sich umgedreht und ging zum Ausgang des Restaurants.
„Auf Wiedersehen und gute Reise", rief Cass ihr nach, doch Veronica schaute nicht zurück.
Obwohl Störungen in der Leitung darauf hindeuteten, daß es sich um ein Überseegespräch handelte, konnte Cass erst nach weiteren Minuten das Telefonat endlich beenden. Ich muß unbedingt nach Jack sehen, schoß es ihr durch den Kopf, er hat sich ja seit einer Ewigkeit nicht mehr gemeldet. Sie sah über die Restauranttische hinweg zu der Stelle, wo der Buggy stand - und erstarrte. Die Karre war leer! Wo, um Himmels willen, war ihr Sohn?
Beruhige dich, sagte sie sich gleich darauf, Gifford wird Jack abgeholt haben. Wahrscheinlich hatte er den Nebeneingang genommen, gesehen, daß sie telefonierte, und Jack aus dem Buggy genommen, um ihm das Meer oder die Papageien zu zeigen.
Ja, das mußte es sein. Schließlich hatte Gifford so etwas schon häufig getan. Sie biß sich auf. die Lippe. Aber er hatte Cass immer vorher um Erlaubnis gefragt ...
Suchend blickte sie umher. Wo mochten die beiden nur stecken? Sie ging zur Veranda, beugte sich über die hölzerne Brüstung und rief Giffords Namen.
Als niemand antwortete, ging Cass rasch zum n Strand hinunter. Auch hier war keine Menschenseele zu sehen. Schließlich schlug sie den Palmenpfad ein, der zum Maison d'Horizon führte. Obwohl sie sich immer wieder einredete, daß es keinen Grund für so große Eile gab, rannte sie förmlich um die Villa herum und nahm den unverschlossenen Hintereingang. Schließlich stand sie im Arbeitszimmer vor Gifford, der am Schreibtisch vor einer Schreibmaschine saß und tippte.
„Wo ... wo ist Jack?" fragte sie aufgeregt und schaute suchend umher. „Du hättest wenigstens so freundlich sein können, mir Bescheid zu sagen, daß du ihn mitnimmst!"
Gifford hörte mit dem Tippen auf und wandte sich ihr zu. „Ich habe ihn nicht mitgenommen."
„Aber du mußt es getan haben! Hör mal, wenn du dir einen Scherz mit mir erlauben willst, so sage ich dir, das finde ich gar nicht witzig! Außerdem stinkt es mir sowieso gewaltig, was für einen Aufstand du hier und jetzt mit ihm veranstaltest, wo du überhaupt nicht daran denkst, dich in Zukunft um ihn zu kümmern!"
Es herrschte minutenlanges Schweigen zwischen ihnen, wo sich Gifford offensichtlich überlegte, ob er ihre Kampfansage annehmen sollte. Er entschied sich, es nicht zu tun.
„Ich mache keine Scherze", sagte er ruhig. „Jack ist nicht bei mir."
Die aufsteigende Angst griff ihr mit eiskalten Fingern ans Herz. „Aber der Buggy ist leer." Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, ihre blauen Augen schauten ihn verzweifelt an. „Jack ist nirgendwo zu finden! Ich habe überall nach ihm gesucht."
„Vielleicht hat Edith ihn mitgenommen", schlug Gifford vor.
Sie schüttelte den Kopf. „Edith besucht ihre Schwester, sie brach
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