Julia Extra Band 159
fragen würde. Doch gleichzeitig wußte sie, daß ihr die Antwort erst in dem Augenblick einfallen würde, wenn er die Frage stellte. Kurz vor seinem letzten Geburtstag hatte er sie dann aber doch überrascht, als er danach gefragt hatte, wann er endlich einen Bruder oder eine Schwester bekommen würde. Beth spürte einen Schock. Sie hatte ihren Sohn lange liebevoll angeschaut doch gezögert, was sie antworten sollte.
Beth schüttelte den Kopf, während sie ihren schlafenden Sohn betrachtete. Morgen würde sein Vater ihn so anschauen, für heute abend aber hatte sie ihn noch ganz für sich allein.
2
Als Rosita abfuhr, wäre Beth ihr am liebsten nachgelaufen, um sich an ihr festzuhalten.
„Gehen wir zu meinem Auto", sagte Jaime. ,,Und dann werden wir sehen, ob wir nicht etwas für dich zu essen finden."
Beth drehte sich um und sah, wie er ihre Reisetasche aufhob, die sie aus Rositas Wagen genommen hatte. Wieder fragte sie sich, was seiner Stimme einen so unnachahmlichen Klang gab. Auch nach all den Jahren erkannte sie sie sofort wieder.
„Beth?"
„Ich habe keinen Hunger", stieß sie hervor und folgte ihm über den dunklen Parkplatz.
„Vorhin hast du genau das Gegenteil behauptet", erklärte er und musterte sie von Kopf bis Fuß.
„Das habe ich nur gemacht, um Rosita einen Gefallen zu tun", gab Beth zurück und zuckte mit den Schultern, während sie sich dem grünen Auto näherten. „Sie macht sich viele Gedanken darum, daß ich nicht, regelmäßig esse."
„Ganz offensichtlich sorgt sie gut für dich", bemerkte er und öffnete die Beifahrertür. „Du kannst dich glücklich schätzen."
„Ja, das kann man wohl sagen", stimmte Beth zu, drückte sich tiefer in die Lederpolster und schloß die Augen. „Ich wüßte nicht, was ich ohne sie tun sollte", fügte sie ohne Bitterkeit hinzu. Dann fiel ihr wieder ein, daß sie Rosita ein Versprechen gegeben hatte. Es war ihre Pflicht, Jaime von seinem Sohn zu erzählen. Aber wie sollte sie das anstellen? Es war schon beinah unmöglich, sich die richtigen Worte in Gedanken zurechtzulegen, aber wie sollte sie sie aussprechen?
„Es gibt eine kleine Bar hier in der Nähe, wo man Kleinigkeiten, die berühmten Tapas, essen kann", sagte er, als sie vom Parkplatz herunterfuhren. „Vielleicht gefällt dir das besser als ein richtiges Restaurant."
„Ich habe dir schon gesagt, daß ich keinen Hunger habe.”
„Aber ich", gab,er spitz zurück. „Und Señora Rubio würde mir vorwerfen, daß ich mich nicht ordentlich um dich kümmere."
Beth legte sich in Gedanken verschiedene Sätze zurecht, wie sie ihm die Neuigkeit ankündigen könnte, doch kam sie zu keinem Ergebnis. So schwiegen sie, als sie bei dem Restaurant ankamen und Jaime Tapas und Kaffee bestellte. Während des Essens wurde das Schweigen immer gespannter. Beth dachte daran, wie sie früher zusammen gespeist hatten. Damals hatte eine ganz andere Stimmung in der Luft gelegen, da sie sich beide unwiderstehlich zueinander hingezogen gefühlt hätten. Sie versuchte, diese Bilder zu vertreiben, und begann zu essen, während sie unendliche Traurigkeit in sich fühlte.
„Es ist sehr schön, daß du doch etwas zu dir nimmst", be merkte Jaime kühl und musterte sie. „Ich habe schon von Frauen gehört, die als Mannequin arbeiten und die man zwingen muß, ein wenig Salat zu essen, da sie Angst hatten, auch nur ein Gramm zuzunehmen."
„Tatsächlich?" Beth fühlte, wie Ärger in ihr aufstieg. So wie er gesprochen hatte, klang es ja beinahe so, als sei sie ein Straßenmädchen. „Zum Glück gehöre ich zu den Menschen, die essen können, was sie wollen, ohne zuzunehmen. Aber im Moment gehen mir so viele Gedanken durch den Kopf, daß ich keinen rechten Appetit habe."
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Ich habe dich verstimmt", murmelte er. „Das war wirklich nicht meine Absicht." Doch weder das Lächeln noch die Entschuldigung ließen seinen Blick sanfter erscheinen. „Du hast eine phantastische Karriere gemacht, Beth. Ich glaube, es gibt kein Land auf der ganzen Welt, wo noch kein Foto von dir er schienen ist."
Jetzt klingt es ja fast so, als sei Mode eine ansteckende Krankheit, dachte Beth ärgerlich und nahm schnell ein Tapas, um nicht unüberlegt zu antworten.
„Wie sieht es aus mit deinen Plänen, Spanisch zu lernen und den Armen in Südamerika zu helfen?" fragte er.
„Ich habe in der Zwischenzeit ein Kind bekommen", erklärte sie unterkühlt. Es gefiel ihr ganz und gar nicht,
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