Julia Extra Band 348
überlegte kurz, sich eine Geschichte auszudenken, die sie glücklich machen würde, aber er brachte es nicht übers Herz. Der Wunsch, ihr die Wahrheit zu sagen, war stärker. „Meine Mutter konnte es sich nicht leisten, also gab es kein Weihnachtsfest für uns.“
Als er noch klein war, hatte seine Mutter sich immerhin bemüht und ihm ein gebrauchtes Spielzeug aus einem Secondhandladen gekauft. Als er älter geworden war, war sie immer mehr in die Drogenabhängigkeit gerutscht und hatte ihm nichts mehr geschenkt.
Veronicas himmelblaue Augen blickten traurig. Sie nahm seinen Arm und drückte ihn. „Das tut mir leid.“
„Schon in Ordnung, ich bin ja kein Kind mehr. Heute bin ich darüber hinweg.“
„Aber damals musst du sehr traurig gewesen sein.“
Er zog sie an sich und zeichnete mit einem Finger die wunderschön geschwungene Linie ihres Mundes nach. „Das ist schon so lange her. Und wenn du mir wirklich etwas schenken willst, würde mir bestimmt etwas einfallen.“
Zärtlich fuhr sie ihm mit einer Hand durchs Haar. Einen Moment lang wirkte sie noch traurig, dann lächelte sie verwegen. „Ich könnte mir da auch gewisse Dinge vorstellen.“
Veronica konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals so glücklich gewesen war wie mit Raj. Es war ihr zweiter Tag in Goa, und sie machten einen Ausflug zu einem malerischen Dorf an der Küste. Hand in Hand durchstreiften sie einen kleinen Markt.
Natürlich hatten sie nicht auf Bodyguards verzichten können, aber die Männer trugen Zivil und fielen kaum auf. Auch wenn sie wusste, dass es eine Illusion war, fühlte sie sich sorglos und unbeschwert.
„Wir können nicht lange bleiben“, sagte Raj, als sie zwischen den Marktständen umherschlenderten. Veronica konnte sich nicht sattsehen. Auf den Ständen wurden exotisches Obst wie Mangos, Kokosnüsse und Jackfrüchte sowie Gemüse, getrocknete Gewürze und Chilischoten angeboten, die in den herrlichsten Farben leuchteten. Der exotische Duft, der in der Luft lag, machte den Ausflug zu einem wahren Fest für die Sinne.
Die Frauen waren in farbenfrohe Saris gehüllt, die Männer trugen die landestypischen Hemden und weiten Hosen. Sogar Ziegen, Kühe und ein bemalter Elefant waren zu sehen. Auf dem Markt herrschte lautes und buntes Treiben, und Veronica genoss jeden Augenblick.
„Vielen Dank, dass du mich hergebracht hast“, sagte sie. „Es ist wundervoll.“
Lächelnd schaute er sie an und rückte die große Sonnenbrille auf ihrer Nase zurecht. „Es ist riskant. Aber ich glaube nicht, dass dich jemand erkennen wird. Du siehst sehr geheimnisvoll aus.“
„Du dagegen stichst wie ein Pfau aus der Menge heraus“, stellte sie fest, weil in diesem Moment eine Frau sich nach ihm umdrehte und ihn anlächelte. Dass Raj das Lächeln der Frau erwiderte, versetzte Veronica einen eifersüchtigen Stich.
„Es ist besser, wenn ich die Aufmerksamkeit von dir ablenke“, erklärte er und führte sie zum nächsten Stand.
Als sie eine schattige Nische erreichten, zog er sie hinein, direkt in seine Arme. Für den heutigen Tag hatte sie eine weiße Hose und ein weites Leinenhemd gewählt, das sie mit einem bunten Gürtel in der Taille zusammenhielt. Sowie sie auf dem Markt angekommen waren, hatte Raj ihr außerdem einen großen Strohhut und perlenverzierte Sandalen gekauft.
„Ich bin froh, dass dir unser kleiner Ausflug gefällt“, sagte er. Dann beugte er sich vor und küsste sie, als könne er einfach nicht genug von ihr bekommen..
„Ich kann mir noch andere Dinge vorstellen, die mir noch besser gefallen würden“, erwiderte sie.
Lachend löste er sich von ihr. „Mir auch, aber der Mensch lebt nicht vom Sex allein. Er muss auch essen.“
Veronica lächelte. „Ich habe tatsächlich Hunger.“
„Das ist gut, denn ich will dir ein ganz besonderes Restaurant zeigen.“
Er führte sie vom Markt weg, in eine Straße, die von bunten Holzhäusern gesäumt war. Die Leute drehten die Köpfe nach ihnen um, aber sie wusste, dass es seinetwegen, nicht ihretwegen geschah. Schließlich hielten sie vor einem rot angestrichenen Gebäude, dessen Farbe leicht verblichen war.
Zwei große Palmen überdachten den Eingang. Der schattige Innenraum wirkte sauber und gepflegt. Aber Raj führte sie zielsicher auf eine kleine Terrasse, von der aus man die Bucht überblicken konnte. Auf der Terrasse standen mehrere Holztische mit Bastschirmen, und er führte sie zu dem äußersten Tisch und rückte ihr einen wackligen Stuhl zurecht.
Bald
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