Julia Extra Band 358
sondern ihr eigenes Verhalten in Vasiliis Hotel. Für einen Moment hatte es so ausgesehen, als wollte er sie berühren, und da waren plötzlich ihre Gefühle mit ihr durchgegangen. Vollkommen unerwartet und vor allem extrem beängstigend.
Ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, dass es ihr eventuell nicht gelingen würde, ihre längst verschüttet geglaubten Gefühle unter Kontrolle zu halten. Sie fühlte sich zu Vasilii hingezogen, als sei es das Natürlichste auf der Welt, aber das durfte einfach nicht sein. Irgendwie ignorierte ihr Körper, was ihr Verstand längst begriffen hatte, nämlich dass Vasilii eine regelrechte Abneigung gegen sie hegte. Er war kein Prinz, den man erobern konnte, er war ein zynischer und überheblicher Autokrat, mit dem sie es nun einige Monate aushalten musste.
Nachdenklich betrachtete Vasilii die Unterschrift, die Laura unter den Arbeitsvertrag gesetzt hatte. Sie war großzügig geschwungen, elegant und hübsch anzusehen. Egal, er musste fortan verhindern, dass irgendwelche Gedanken über Laura Westcotte in sein Innerstes vordrangen. Leider war er zurzeit beruflich auf diese Frau angewiesen, aber darüber hinaus wollte er nichts mit ihr zu tun haben. Ganz egal, was alles an ihr reizvoll sein mochte …
Sein Blick fiel auf die gerahmten Familienfotos, die seine Halbschwester auf der Anrichte platziert hatte, als sie vor ihrer Hochzeit noch gemeinsam in dieser Hotelsuite gewohnt hatten.
Ohne Eile schlenderte er hinüber und nahm eines von ihnen zur Hand. Es stand ganz hinten, eine Aufnahme seiner Eltern an ihrem Hochzeitstag. Seine Stiefmutter hatte es ihm an seinem achtzehnten Geburtstag geschenkt, und es war für sie nicht einfach gewesen, daran zu kommen. Denn nach dem Tod seiner Mutter hatte Vasilii alle Bilder von ihr, die er finden konnte, verbrannt. Er hatte ihren Anblick nicht länger ertragen, nun, da er sie mehr lebendig im Arm halten konnte. Zu dem Zeitpunkt war er noch ein Einzelkind, und später bereute er sein unbedachtes Handeln natürlich.
Seine Stiefmutter ahnte wohl, was in ihm vorging, obwohl sie ihn niemals direkt darauf ansprach. Ihr Geschenk sagte mehr als tausend Worte. Unbewusst konnte sie seinen Verlustschmerz nachempfinden und versucht, ihm Linderung zu verschaffen. Die Gewissheit, von einer Frau derart durchschaut worden zu sein, erschütterte Vasilii in seinen Grundfesten. Er wollte doch seine Schwächen verbergen, auf niemanden angewiesen sein, sich nicht verletzbar machen …
Seine Mutter hatte er mehr als jeden anderen gebraucht, aber sie war ihm genommen worden. Daraufhin musste er versuchen, ohne sie zurechtzukommen, und diese Erfahrung lehrte ihn, sich nie wieder von einem anderen Menschen abhängig zu machen.
Mit der zweiten Ehe seines Vaters hatte Vasilii kein Problem. Ihm war klar, dass seine Mutter von ihrer Familie traditionell verheiratet worden war. Doch sie hatte oft behauptet, sehr stolz auf ihren Ehemann zu sein, und er wertschätzte sie ebenfalls. Sie waren glücklich miteinander gewesen und hatten beide ihren gemeinsamen Sohn über alle Maßen geliebt. Sein Vater war nach der verhängnisvollen Entführung mit tödlichem Ausgang am Boden zerstört gewesen, und erst viel später verliebte er sich in Alenas Mutter.
Vasilii freute sich über die zweite Hochzeit seines Vaters. Doch die intensive brüderliche Liebe, die er für seine Halbschwester empfand, erschreckte ihn. Nun war er wieder emotional an einen Menschen gebunden, obwohl er sich stets bemühte, das Alena nicht so sehr merken zu lassen. Es reichte schon, dass sie ihren Vater mühelos um den kleinen Finger wickelte.
Seine fürsorglichen Gefühle gegenüber Alena wurden noch erheblich stärker, nachdem sein Vater und seine Stiefmutter bei einem Unfall verunglückt waren. Gleichzeitig errichtete er aber eine unsichtbare Mauer zwischen sich und seiner Halbschwester. Um ihretwillen. Es hätte ihr geschadet, ihn so verloren und hilflos zu erleben, wie er sich fühlte. Für sie musste er stark bleiben – oder wenigstens so wirken.
Und wenn er sich ihr gegenüber streng und unnachgiebig verhielt, dann nur, um ihr damit eine Stütze zu sein. Mittlerweile war sie mit dem Mann verheiratet, den sie liebte, und führte ein eigenes, unabhängiges Leben. Sie würden Kinder bekommen, und Vasilii konnte wieder für sich sein.
Wenigstens hatte er dafür gesorgt, dass seine kleine Schwester keine zu intensive emotionale Bindung zu ihm aufbaute. Manche Menschen suchten nach einem Verlust,
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