Julia Extra Band 358
langem Sträuben schließlich meinem Rat folgte und sich scheiden ließ, lehnte er eine zweite Ehe kategorisch ab. Er wollte seinen Untertanen kein schlechtes Beispiel geben.“
„Er hat bestimmt nicht damit gerechnet, so jung sterben zu müssen.“ Alyssa seufzte. „Er hätte besser ein zweites Mal heiraten und weitere Kinder haben sollen.“
Bedächtig stellte Lysander seine Tasse exakt in die Mitte des Untertellers. „Deiner Ansicht nach muss eine Ehe also nicht bis zum Tod gültig sein?“, fragte er leise.
„Eigentlich schon, doch das Ideal ich so hoch, dass es sich im Alltag nicht immer realisieren lässt.“
Lysander zuckte die Schultern. „Wie lange warst du eigentlich verlobt?“
„Etwas über drei Jahre.“
„Wie bitte?“ Ungläubig sah er sie an. „War der Typ nicht ganz normal?“
Alyssa schluckte und nahm dann all ihren Mut zusammen. „Doch, es war nämlich nicht sein, sondern mein Fehler.“
Endlich hatte sie sich die bittere Wahrheit nicht nur eingestanden, sondern war sogar in der Lage, darüber zu sprechen. Sie fühlte sich grenzenlos erleichtert, und die Worte sprudelten ihr nur so von den Lippen.
„Ich war nicht verliebt in einen Mann, sondern in meine persönlichen Vorstellungen von Liebe. Ich wollte unbedingt und möglichst schnell eigene Kinder haben und nicht nur berufsmäßig für die von anderen Leuten sorgen. Ich stellte mir vor, wie ich von meinen Söhnen und Töchtern bewundert werden würde und mit all der Herzenswärme behandelt, die ich als Kind so vermisst hatte. Dann traf ich Jerry und hielt ihn für das Fleisch und Blut gewordene Idealbild eines Vaters. Er war solide, arbeitete hart und stand am Anfang einer Bilderbuchkarriere.“
Alyssa lächelte. „Meine Eltern waren beeindruckt von ihm, was mich zusätzlich in der Annahme bestärkte, den Mann meines Lebens gefunden zu haben. Ich war überzeugt, die einzig richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich träumte von der Hochzeit des Jahrhunderts, von einer rosigen Zukunft an der Seite eines idealen Mannes und von perfekten Kindern.“
Sie zögerte. „Dann starb der kleine Georgie, und ich erlitt einen Nervenzusammenbruch. Jetzt zeigte sich die Wahrheit: Die Beziehung zwischen Jerry und mir war zu oberflächlich, um eine persönliche Krise zu überdauern. Jerry verstand einfach nicht, weshalb mich der Tod des Kindes derart mitnahm, er konnte nicht nachempfinden, dass es nicht allein die Trauer war, die mir zu schaffen machte, sondern auch mein schlechtes Gewissen. Ich warf mir vor, nicht genug für Georgie getan zu haben.“
Alyssas Stimme brach, und Lysander reichte ihr eins der blütenweißen Taschentücher aus feinstem Damast, die man mit der Garderobe aus dem Palast geschickt hatte. Alyssa bedankte sich, steckte es jedoch unbenutzt in die Tasche des Bademantels. Ihre Augen waren trocken geblieben.
„Da wir unfähig waren, uns auszusprechen und einander zu verstehen, verlor Jerry bald das Interesse an mir und löste die Verlobung. Erst bei dieser Gelegenheit und quasi nebenbei erfuhr ich von seinem schon länger andauernden Verhältnis zu seiner hübschen Sekretärin.“
„Ich kann mir vorstellen, wie dir zumute gewesen ist.“
Alyssa glaubte es ihm sogar; was Affären anging, war Lysander schließlich Experte.
„Damals hasste ich Jerry für den Verrat. Jetzt, mit mehr Abstand, erkenne ich auch meine Fehler. Er als Persönlichkeit war mir im Grunde nicht wichtig, ich habe ihn lediglich als Mittel benutzt, um meine Träume von einer glücklichen Familie zu verwirklichen.“
„Damit hattest du also deine Chance auf einen reichen Mann, Kinder und ein eigenes Haus vertan“, bemerkte Lysander ausdruckslos.
„Auf Jerrys Vermögen hatte ich es nun wirklich nicht abgesehen. Wozu auch? Ich habe stets gut verdient, besitze meine eigenen Ersparnisse, und Geld für eine Nanny hätte ich auch nicht ausgeben müssen.“ Sie versuchte, über ihren Witz zu lachen, was ihr jedoch nicht so recht gelingen wollte. „Ich glaube, ich wollte ihn eigentlich nur heiraten, weil er der Erste war, der mir einen Antrag machte und ich verrückt nach eigenen Kindern war.“
Lysander schien seine abwertende Bemerkung zu bereuen, denn statt zu antworten, neigte er leicht den Kopf und reichte Alyssa einen Teller mit frischen Feigen. Alyssa nahm sich eine und genoss mit geschlossenen Augen die wohltuende Süße der Frucht, um ihre bitteren Erinnerungen zu vergessen. Anschließend säuberte sie die Hände in einer Fingerschale
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