Julia Extra Band 358
chaotischen Existenz.
Um sie vor dem jetzt empfindlich kalten Wüstenwind zu schützen, zog er Alyssa näher zu sich. Unwillkürlich musste er über sich selbst lächeln. Eigentlich hatte er Alyssa ja in der Absicht verführt, sein Verlangen nach ihr zu ersticken, doch dieser Plan war nicht aufgegangen. Denn selbst nachdem er sie besessen hatte, begehrte er sie immer noch.
Bisher hatte er mit seiner Taktik immer Erfolg gehabt: Er hatte längst aufgegeben, die Frauen zu zählen, die schon in seinen Armen gelegen hatten, doch an jeder war sein Interesse erloschen, sobald er das Bett mit ihr geteilt hatte.
Alyssa würde da keine Ausnahme bilden. Sie war völlig verzweifelt gewesen, und er hatte sie auf die Art getröstet, die er am besten beherrschte. Das war das Einzige, was das Erlebnis mit Alyssa von seinen bisherigen Abenteuern unterschied.
Auch seine erneute Erregung, als sich Alyssa schlaftrunken enger an ihn schmiegte, war eine rein biologische Reaktion und damit nichts Geheimnisvolles oder Bedeutsames. Ebenso banal und erklärlich wie der Grund, weshalb er immer noch neben ihr lag, statt schon längst zurück im Palast zu sein: Er hatte Mitleid mit Alyssa.
Wer konnte eine Frau, die von einem miesen Typen derartig verletzt und gedemütigt worden war, einfach lieben und sich dann heimlich davonmachen?
Er selbst, obwohl auf One-Night-Stands spezialisiert, war stets ehrlich geblieben. Jede Frau hatte vorher gewusst, worauf sie sich einließ. Nie hatte er mehr als ein kurzes Abenteuer versprochen.
Alyssa bildete da keine Ausnahme, er hatte ihr nichts zugesichert, und sie hatte sich keine Illusionen über ihn gemacht. Von Anfang an hatte sie ihn mit schonungsloser Offenheit bezichtigt, ein verantwortungsloser Playboy zu sein. Er durfte also ein reines Gewissen haben. Alyssa wusste ebenso gut wie er, dass er sie lediglich hatte trösten wollen.
Oder wird sie es anders sehen?
Er überlegte. Sie war klug, hatte ihre eigenen Erfahrungen und kannte seine Vergangenheit. Zwischen einer Frau wie ihr und einem Mann von seinem Ruf konnte es einfach nicht mehr geben als ein erotisches Intermezzo.
Alyssa stand mit beiden Beinen im Leben und war in der Lage, das, was zwischen ihnen vorgefallen war, realistisch einzuschätzen. Die vergangenen Stunden würden ihr Selbstbewusstsein stärken und sie optimistischer in die Zukunft blicken lassen, ihm dagegen würden sie ermöglichen, den Kopf für die bevorstehenden Herausforderungen klar zu bekommen und sich wieder konzentrieren zu können. Auf beide würde sich diese Liebesnacht positiv auswirken.
Alyssa arbeitete ebenso hart wie er, ihnen beiden war die Karriere wichtiger als eine Liebesbeziehung. Das verband sie und unterschied sie von anderen. Genau wie er selbst würde auch Alyssa diese Nacht als eine nette kleine Entspannung zwischendurch betrachten. Genauso wenig wie er, träumte sie von einer Beziehung.
Oder doch?
Lysander fand indessen keine Zeit mehr, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Unter dem goldenen Mond liebte er Alyssa im betörenden Duft der königlichen Gärten, und in dieser Nacht fanden sie beide so wenig Schlaf wie die Nachtigallen.
„Im Palast wird man sich wundern, wo du geblieben bist.“ Schlaftrunken streichelte Alyssa seinen Kopf, der auf ihrer Schulter ruhte.
Lysander war felsenfest überzeugt, sich jederzeit von Alyssa losreißen zu können, doch der Moment war noch nicht gekommen. Es wäre nicht fair, sich ihren Zärtlichkeiten zu entziehen, wenn sie so glücklich dabei war.
„Sollen sie sich ruhig wundern. Du hast heute frei und musst erst um Mitternacht zurück im Palast sein. Wir haben noch den ganzen Tag allein für uns.“
Lysander war plötzlich hellwach. Was hatte er da nur gesagt? Er hatte Akten durchzuarbeiten, E-Mails zu beantworten und eine Sitzung vorzubereiten. Sich mit einer Frau im Bett zu amüsieren, war für ihn als Prinz keine Option mehr. Wortlos rollte er sich zur Seite und stand auf.
Alyssa hob den Kopf. „Was bedrückt dich, Lysander. Kann ich dir vielleicht helfen?“
Überrascht drehte er sich zu ihr um. War Alyssa wirklich eine Frau, die sich für ihn als Menschen und nicht nur für sein Bankkonto interessierte? Das war für ihn etwas ganz Neues – etwas, das sich angenehm anfühlte. Er dachte lange über das Angebot nach.
„Danke, alles bestens“, meinte er schließlich mit einer Überzeugung, die er lediglich vortäuschte. Nichts war gut, denn das brennende Verlangen, sofort in Alyssas Arme
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