Julia Extra Band 358
gehst dort nachts nicht mehr allein hin.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das kann ich dir nicht versprechen.“
„Du wirst dich umziehen, bevor du gehst, und vorsichtig sein.“
„Das bin ich immer.“
„Flache Schuhe, weite Klamotten. Nichts Figurbetontes.“ Als sie die Augen verdrehte, rang Daniel sich ein Lächeln ab. „Sobald ein Problem auftaucht, meldest du dich.“ Mit einem Nicken deutete er auf ihr Handy. „Ich habe meine Nummer unter H abgespeichert.“
„Ich habe doch gesagt …“ Nun blinzelte sie irritiert. „Warum unter H?“
Ohne zu antworten, verließ er den Coffeeshop. Als er am Fenster vorbeiging, sah er, wie sie einen Blick auf das Display ihres Telefons warf und dabei lachend den Kopf schüttelte.
Vielleicht hatte er mehr verraten, als er beabsichtigt hatte, aber er war dabei, an Boden zu gewinnen.
Natürlich würde sie es merken, wenn Daniel für immer gegangen wäre. Glaubte er wirklich, ihre Mitmenschen wären ihr so gleichgültig?
Sie hätte sich wahrscheinlich über ihn aufgeregt, wenn er sie nicht so überrascht hätte. Seine Worte hatten ernst geklungen. Das leichte Zittern seiner Hand, als er den Deckel wieder auf seinen Becher getan hatte, war ihr allerdings besonders nahegegangen. In dem Moment waren ihr die Fältchen in seinen Augenwinkeln und sein trotz der Bräune fahler Teint aufgefallen. Zusammen mit dem, was sie über ihn wusste, verlieh es der Frage, die sie ihm am Abend seines Einzugs gestellt hatte, eine tiefere Bedeutung.
Sie erinnerte sich noch, wie er bei ihrer letzten Begegnung vor seinem Auslandseinsatz ausgesehen hatte. Es war einer der wenigen Sonntage gewesen, an denen er bei seinen Eltern zum Mittagessen erschienen war, und das letzte Mal, dass er ihr gegenüber auf seinem Platz gesessen hatte. Während seine Familienmitglieder vor Sorge ganz angespannt gewesen waren, hatte er ausgesprochen lässig gewirkt.
Hatte sie sich damals die Zeit genommen, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn er nicht nach Hause gekommen wäre? Wenn der Stuhl ihr gegenüber genauso lange leer geblieben wäre wie der seines Vaters? Soweit sie sich erinnerte, hatte sie aber nur die Berichterstattung in den Medien verfolgt und sich gefragt, wo er war, wenn irgendwo einem Marine etwas zugestoßen war.
Bisher hatte sie dabei in erster Linie immer an seine Familie gedacht. Und nun hatte sie zum ersten Mal überlegt, was sie empfinden würde, wenn es nur um Danny und sie ging und er dann plötzlich nicht mehr da war …
Ja, sie würde ihn vermissen. Mit wem sollte sie sich dann streiten? Aber es konnte nicht mehr sein. Sie wusste, wie es war, wenn ein Mensch eine große Lücke hinterließ. Und wie es den Hinterbliebenen ging. Um nicht in dieses Loch zu fallen, durfte sie keine so tiefen Gefühle für jemanden entwickeln.
Nicht nachdem sie es selbst bei jemandem miterlebt hatte.
Nachdem Jo noch eine ganze Weile im Coffeeshop gesessen und einfach nur ins Leere geblickt hatte, kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Mitten in der Woche einen ganzen Tag zu Hause zu verbringen war ein seltener Luxus, denn normalerweise war sie am frühen Nachmittag schon in Manhattan unterwegs. Nachdem sie kurz im Verlag vorbeigeschaut hatte, um die weiteren Outfits für ihren Auftrag zu besprechen, setzte sie sich wieder an den Computer, um zu schreiben. Als sie irgendwann ein Geräusch zu hören glaubte, blickte sie auf. Da außer dem gewohnten Verkehrslärm jedoch nichts zu vernehmen war, machte sie weiter.
Da war es wieder.
Jo stand auf und ging zur Schlafzimmertür, wo es etwas lauter war. Als es aufhörte, hielt sie den Atem an und wartete. Ihr Herz krampfte sich zusammen, sobald es wieder erklang. Tagsüber war es nicht weniger schrecklich als nachts. Konnte Daniel überhaupt schlafen? Sie blickte auf die große Wanduhr in der Küche. Es war fast drei. Hatte er nicht gesagt, er habe um vier wieder Dienst? Was sollte sie jetzt tun?
Eine SMS an ihren „Heißen Nachbarn“ wäre auch nicht besser, als bei ihm auf der Schwelle zu erscheinen. Die Küchenuhr tickte laut. Noch während Jo zögerte, folgte der nächste gequälte Schrei.
Okay, das war’s. Sie würde hingehen.
Als die Tür aufgerissen wurde und ihr Blick auf seinen nackten muskulösen Oberkörper fiel, stockte Jo der Atem. Schnell sah sie Daniel in die Augen und erschrak wieder, denn seine Augen waren rot, und er blinzelte benommen.
Es weckte Gefühle in ihr, die sie verdrängen musste.
„Was ist?“, fragte er.
„Du
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