Julia Extra Band 359
dem Angestellten ihren Namen. Während er seinen Computer checkte, ging sie in Gedanken eines ihrer Lieblingsstücke durch, keine eigene Komposition, sondern eines von Mozart.
Sie stellte sich vor, wie ihre Hände über die Tasten flogen. Mühelos, voller Begeisterung.
So hatte sie es immer vor einem Auftritt gemacht, um sich in Erinnerung zu rufen, wie gut sie vorbereitet war.
„Durch die Tür dort drüben, Ms Birch“, sagte der Mann an der Rezeption mit strahlendem Lächeln.
„Danke“, gab sie zurück und konzentrierte sich auf die Musik in ihrem Kopf. Sie versuchte, ruhig zu atmen, im gleichen Rhythmus mit dem Stück von Mozart. Nicht hetzen. Ganz langsam, befahl sie sich.
Als sie die Tür öffnete, flatterten die Töne davon wie aufgescheuchte Vögel. Sie wusste nicht, wozu dieses Treffen gut sein sollte, und es war sinnlos, etwas anderes vorgeben zu wollen.
Denn Ethan war beängstigender als dreitausend Zuhörer im Konzertsaal. Er saß hinter einem großen, teuren Schreibtisch, die Hände vor sich auf der Platte zusammengelegt. Seine Miene wirkte noch härter als am Tag zuvor.
„Guten Tag.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Es war zum Verrücktwerden, wie gelassen er wirkte, während sie das Gefühl hatte, dass selbst der kleinste Windhauch sie umwerfen könnte.
„Ich bin wegen unserer geheimnisvollen Besprechung gekommen“, kam sie gleich zur Sache.
„Setzen Sie sich.“ Er deutete auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.
„Nein.“ Sie würde sich nicht klein machen und hinter seinem großen Schreibtisch Platz nehmen wie ein Kind, das auf die Strafpredigt wartet.
Sich schwach und unterwürfig zu geben, hatte noch nie jemandem weitergeholfen. Im Gegenteil, man machte sich dadurch manipulierbar. Im vergangenen Jahr war ihr klar geworden, wie sehr die Leute sie ihr ganzes Leben lang manipuliert hatten. Nie wieder würde sie den Bauern im Schachspiel der anderen geben.
Eine harte Lektion, aber sie hatte sie gelernt. Und in bestimmter Weise war sie ohne ihren goldenen Käfig stärker als je zuvor. Auch wenn sie sich nicht immer so fühlte.
Seine Lippen umspielte ein verhaltenes Lächeln, das ihr nicht gefiel, weil es etwas Dunkles an sich hatte. „Nein?“
„Ich stehe lieber“, sagte sie steif.
Er legte den Kopf schräg. „Wie Sie wollen.“
Als er aufstand, fühlte sie sich plötzlich klein. Er war einen Kopf größer als sie und viel breiter. Mehr noch, mit seiner schieren Präsenz schien er den ganzen Raum auszufüllen. Er hatte das gewisse Etwas. Sie streckte den Hals und straffte die Schultern, doch all das half nichts.
„Ich könnte jetzt sagen, dass es um etwas Geschäftliches geht, nicht um etwas Persönliches. Aber das wäre gelogen.“
Sie schluckte schwer. „Ach ja?“
„Ich brauche weder das Geld, das ein Hotel mir einbringen würde, noch das aus dem Familienunternehmen. Aber ich will nicht, dass er es bekommt. Und da kommen Sie ins Spiel.“
„Ich?“
„Es kommt mir sehr gelegen, dass Ihr Haus zur Zwangsvollstreckung ausgesetzt wird. Ich könnte Ihnen vielleicht helfen. Gegen ein Entgelt.“
„Ein Entgelt?“
„Ich meine kein kostenloses Mittagessen …“
„Ihnen sollte inzwischen bewusst sein, dass ich mir nicht einmal das leisten könnte“, warf sie ein, während sie gleichzeitig ein Prickeln im Nacken spürte. Er wusste doch, dass sie kein Geld hatte. Was bedeutete, dass er etwas anderes wollte. Und das verhieß nichts Gutes.
„Sie haben noch nie meinen Namen gehört?“, fragte er.
„Nein“, erwiderte sie. „Sollte ich denn?“
„Ich kenne Ihren. Und das nicht nur, weil Sie berühmt sind. Oder besser gesagt, ich kenne den Namen Ihrer Mutter.“
„Wie das?“
„Haben Sie den Namen Damien Grey schon einmal gehört?“
„Ich …“ Fast hätte sie Nein gesagt. Aber sie kannte ihn, zumindest der Vorname war ihr vertraut. „Ja … aber es könnte auch ein anderer Damien gewesen sein.“
„Ich wette, nicht. Damien Grey ist mein Vater. Er war einige Jahre lang der Liebhaber Ihrer Mutter.“
Diese Enthüllung hätte sie eigentlich nicht schockieren dürfen. Schließlich hatte sie nie geglaubt, dass ihre Mutter zu einem Damenkränzchen ging, während sie selbst die Nacht vor ihrem Auftritt allein in irgendeiner Hotelsuite verbracht hatte. Aber so ein Gedanke war ihr nie gekommen.
Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter über einen Damien gesprochen und sich mit ihm getroffen hatte. Damals war sie
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