Julia Extra Band 359
trotzdem genauso leer sein würde wie jetzt. „Das glaube ich nicht. Ich brauche nicht mehr. Wenn ich Klavier spielen kann, bin ich glücklich.“
„Vielleicht verschafft es dir Befriedigung, vor dem Klavier zu sitzen. Auf der anderen Seite weißt du aber auch, dass man auf der Klavierbank noch auf andere Weise Spaß haben kann, oder?“
Seine Worte trafen sie wie ein Schlag, und die plötzliche Boshaftigkeit in seinem Ton schockierte sie. Abrupt stand sie auf und wischte sich den Sand von den Shorts. „Warum … sagst du so etwas?“
„Noelle …“
„Ich möchte jetzt gehen. Heute war ein … schöner Tag. Und es hat Spaß gemacht, das wirkliche Leben für ein paar Stunden zu schwänzen. Aber wir haben beide einen Plan. Und am Strand herumzuhängen gehört nicht dazu.“
Er nickte. „Für uns beide nicht.“
„Und auf einer Klavierbank herumzulümmeln, gehört für uns beide sicher auch nicht dazu.“ Damit wandte sie sich ab und eilte davon. Sie musste sich Ablenkung verschaffen, um den Schmerz in ihrer Brust zu betäuben.
Wie konnte er so etwas sagen? Als ob sie sich ständig von Männern berühren lassen würde. Ob er das annahm?
Und wenn schon. Schließlich war auch er ein ausgemachter Playboy, und falls sie sich jeden Abend mit Männern auf der Klavierbank vergnügen würde, war das ihre Sache, nicht seine. Und ebenso wenig die ihrer Mutter.
Als sie sich umdrehte, war sie nicht einmal überrascht, dass Ethan ihr gefolgt war. „Weißt du was, Ethan? Abgesehen von unserer kleinen Scharade geht dich mein Leben nichts an. Ich könnte mit hundert Männern Sex haben, und trotzdem hättest du kein Recht, mich zu verurteilen. Es ist nämlich mein Leben. Also … bitte.“
Erneut wandte sie sich ab und ging weiter. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr Herz raste. Erst jetzt, da sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass es stimmte.
Sie selbst musste ihr Leben führen, kein anderer. Warum also ging sie immer noch den Weg, den andere ihr vorgegeben hatten? Weshalb übte sie immer noch jeden Tag Stunden um Stunden?
Es war ihr Leben. Die anderen hatten kein Recht, sich einzumischen.
Sie war wütend, nicht nur wegen ihrer Situation, sondern auch auf sich selbst. Weil sie geglaubt hatte, es gäbe für sie nur diesen einen Weg.
Erst als Ethan entschlossen ihren Arm umklammerte, musste sie stehen bleiben. Ihm war es egal, dass die Passanten ihre Hälse reckten, neugierig darauf, ob sie sich streiten würden.
„Du hast recht, Noelle. Es steht mir nicht zu, dich zu verurteilen. Und das werde ich auch nicht. Meine Bemerkung war unangemessen.“ Sein eindringlicher Blick passte so gar nicht zu dieser Entschuldigung.
Noelle konnte es nicht fassen. „Du … du hast dich bei mir entschuldigt“, sagte sie. „Ich glaube, das hat noch nie jemand getan.“
„Ich bin selbstbewusst genug, um zugeben zu können, wenn ich falsch gelegen habe. Und das eben war eindeutig falsch. Es geht mich nichts an, mit wie vielen Männern du geschlafen hast oder noch wirst. Aus mir sprach nur die sexuelle Frustration. Und vielleicht ein bisschen Eifersucht, wobei ich gestehen muss, dass mir so etwas fremd ist.“
„Die … Eifersucht oder die sexuelle Frustration.“
„Beides.“
„Aha.“ Sie sah zu den Passanten, die inzwischen das Interesse an ihnen verloren hatten.
„Du klingst schockiert.“
„Ich denke nicht, dass ich jemals derartige Gefühle bei einem Mann geweckt habe.“
„Das kann ich kaum glauben. Sicher erweckst du bei Männern ständig solche Gefühle.“ Forschend sah er sie an.
„Das … das bezweifle ich.“
Er trat näher, legte seine Hand auf ihren Nacken und strich mit dem Daumen über ihre Haut.
„Ich nicht. Nicht einen Augenblick. Du bist schön.“
„Ethan, ich dachte, wir hätten beschlossen, dass das keine … gute Idee ist.“ Aber warum nur? Ethan fühlte sich gut an. Und warm, so warm. Vorher war alles kalt, erfroren für lange Zeit. Ethan war wie die Sonne.
Sie wollte sich in seiner Wärme baden, in dem Versprechen all des Neuen, das in jeder seiner Berührungen lag.
Mit klopfendem Herzen näherte sie sich ihm, während seine Hand ihren Nacken massierte und ein heißes Feuer in ihr entfachte.
Sie wollte sich nicht von ihm lösen, ihre Verbindung zerstören. Es war ihr Leben. Und Ethan sollte darin sein, solange es möglich war. Weil er sie wütend machte, glücklich, traurig, verwirrt, erregt. Durch ihn fühlte sie wieder, wo sie vorher nur existiert hatte. Sie
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