Julia Extra Band 359
sie doch zurückgewiesen hatte? Schweigen erfüllte den Raum.
„Ethan“, sagte sie schließlich gedehnt, „warum tust du das?“
„Weil ich es will. Und weil es mir auch guttut, mal nichts zu tun.“ Er sah genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte.
„Dann tun wir also nichts.“
„Hört sich gut an.“
Versonnen warf Noelle einen Blick auf ihr Vanilleeis, das in der Sonne schmolz. Sie saß am Meer und beobachtete die Wellen, die an den Strand rollten und sich wieder zurückzogen.
Ethan war gegangen, weil er telefonieren musste. Und sie hatte das Gefühl, endlich wieder atmen zu können.
Der ganze Tag war … nun, er hatte beinahe Spaß gemacht. Er hatte null Wert, wie ihre Mutter gesagt hätte. Sie waren durch ein historisches Fischerdorf spaziert, hatten in einer kleinen Strandhütte Fisch gegessen und sich dann unten am Meer an einem Stand ein Eis gekauft.
Perfekt. Sie hatte sich zwar nicht so entspannen können, wie sie gehofft hatte, aber das war ihr in Ethans Nähe auch nicht möglich. Vielmehr war sie bei ihm immer auf der Hut. Ihre Haut schien empfindlicher, sie spürte sich selbst mehr, was ihr ein Gefühl von Unwirklichkeit gab. Und gleichzeitig war alles viel realer.
„Ich nehme noch ein bisschen von deiner Eiscreme.“ Ethan kam mit zwei Flaschen Wasser zurück. Keinem Mann sollte erlaubt sein, so sexy auszusehen wie er in seinen Shorts und den Sandalen. Als er sich neben sie setzte, wusste sie nicht, ob sie wegrücken oder sich an ihn lehnen sollte.
„Du hast schon eins gehabt, aber du hast es zu schnell gegessen“, sagte sie und leckte Eis von ihrem Hörnchen.
„Und deins schmilzt. Du brauchst Hilfe.“
Sie lachte. „Ganz sicher nicht.“ Sie leckte wieder an dem geschmolzenen Eis.
„Auch wenn ich dir gerne zuschaue, bleibe ich bei meiner Meinung“, gab er lächelnd zurück und ließ in ihr das Bild eines charmanten Playboys aufsteigen. Er hätte sicher keine Probleme damit, diese Rolle einzunehmen. Doch in den Tiefen seiner Augen leuchtete etwas, das über einen reinen Flirt hinausging.
„Ich …“
Als er sich zu ihr beugte, stockte ihr Herz. Noch ein kleines Stück, und sie könnte seine Lippen berühren …
Stattdessen beugte er sich über ihr Eis und leckte eine große Portion ab. „Danke“, sagte er mit rauer Stimme.
Ihre Hand zitterte. Ihn dabei zu beobachten, wie er mit der Zunge langsam über das Eis fuhr, hatte etwas sehr Erregendes. Sie kannte sich selbst nicht mehr.
Nein, das stimmte nicht. Sie lernte sich allmählich kennen. Bisher hatte es für sie nur eins gegeben: ihr Klavierspiel. Aber das hier war das wahre, das wirkliche Leben.
„Es war … toll heute. Danke“, sagte sie. „Tut mir leid, dass ich heute Morgen so barsch war. Als es um meine Mutter ging.“
„Wir müssen alle mal Luft ablassen.“
„Wir haben mit unseren Eltern wohl beide nicht das große Los gezogen, stimmt’s?“
„Sieht so aus.“
„Bist du glücklich, wenn du die Resorts bekommst? Ich meine, ist die Sache damit für dich erledigt?“
„Soll das eine Fangfrage sein?“, wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe mir das wirklich überlegt. Weil ich … mein Leben zurückhaben will. Nicht unbedingt so, wie es früher war. Ich möchte auch mal einen Tag am Strand verbringen, aber ich muss wieder auftreten. Ich will Anerkennung und Belohnung für meine harte Arbeit. Und ich will das Geld. Ich wüsste nicht, was ich ohne machen sollte. Und ich glaube daran, dass es mir Befriedigung verschafft, wenn ich diese Ziele erreiche.“
Mit hochgezogenen Brauen sah Ethan auf die Wellen, die in der Sonne glitzerten. „Ich kann dir keine Antwort darauf geben. Weil es mir eigentlich egal ist. Mir macht es mehr Spaß, schon für das nächste Ziel zu kämpfen. Etwas noch Größeres, Besseres zu erreichen.“
„Das klingt … anstrengend.“
„Anstrengender, als den Rest deines Lebens mit Klavierübungen zu verbringen?“
„Eindeutig.“
„Um sehr viel mehr geht es nicht im Leben, Noelle. Man macht immer weiter, bekommt mehr. Ich bezweifle, dass du damit zufrieden bist, nur wieder zu spielen. Bei jedem Auftritt brauchst du ein größeres Publikum. So läuft die Sache.“
„Ich brauche nicht …“ Noelles Stimme verlor sich. Ihr gefiel nicht, was er gesagt hatte, denn es hörte sich beängstigend nach dem an, was sie auch befürchtete. Dass es ihr nämlich keine Befriedigung verschaffen würde, ihre Karriere wieder aufzunehmen, sondern dass ihr Leben dann
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