Julia Extra Band 359
spielen, wenn sie wieder berühmt sein und in Luxushotels wohnen würde. Jetzt fragte sie sich, ob sie je gewusst hatte, was sie eigentlich wirklich wollte.
Sie betrachtete Ethans ausgeprägtes Profil und versuchte, nicht auf den Knoten in ihrem Magen zu achten. Sicher, es gab etwas, das sie wollte. Aber gerade diesen Wunsch sollte sie wohl besser so schnell wie möglich vergessen.
Ethan hatte falsch damit gelegen, dass das Leben in New York wieder seinen normalen Gang nehmen würde. In dem weichen, luxuriösen Bett aufzuwachen, war für sie immer noch zu schön, um wahr zu sein. Ebenso, sich jeden Tag mit Ethan unterhalten zu können, selbst wenn es nur um Belanglosigkeiten ging.
Es war, als wäre er ihr ein Gefährte, ja, fast ein Freund, mit dem man sich austauschen konnte. An drei Tagen in der Woche begleitete sie ihn zur Arbeit und erledigte Bürotätigkeiten. Dank seiner Assistentin tippte sie jetzt schon viel schneller.
Und das fühlte sich gut an. So, als würde sie sich ein neues, wirkliches Leben aufbauen. Bisher hatte sie nur die zerstörten Überreste eines Lebens gekannt.
Während sie nun auf ihn wartete, setzte sie sich auf die Klavierbank, um an dem Song zu arbeiten, der ihr in Brisbane eingefallen war. Die Töne kamen wie von selbst und erfüllten den Raum.
Sie überließ sich ihrem Gefühl und erinnerte sich daran, wie Ethan in Australien hinter ihr gestanden, wie er sie berührt hatte. Es war leicht, ihre Sehnsucht in die Musik zu legen.
Dieser Song war nicht wie die anderen, die sie geschrieben hatte und bei denen es nur um technische Perfektion gegangen war. Dieser Song entsprach ihrem Innersten, so wie sie jetzt war, ohne Pflichtgefühl und Unterwerfung. Alle ihre Emotionen schwangen darin mit und erfüllten den Raum.
Sie wusste nicht, wie lange, wie oft sie das Lied gespielt hatte, doch irgendwann merkte sie, dass eine Träne über ihre Wange rollte. Schnell legte sie die Hand vor den Mund, um ein Aufschluchzen zu ersticken. Doch dann nahm sie die Hand wieder fort.
Diesmal würde sie es zulassen. Sonst hatte sie immer einfach nur weitergemacht und sich an die Vergangenheit geklammert, an ein Leben, für das sie sich nie selbst entschieden hätte, das ihr jedoch vertraut geworden war.
Aber sie hatte sich nie erlaubt, dessen Verlust zu betrauern – um danach neu anzufangen. Darüber hatte sie ihren Zugang zur Musik verloren, die ihr Dasein so sehr bereichert hatte.
Jetzt fand sie diesen Zugang wieder, aber auf eine ganz eigene Weise.
„Alles in Ordnung?“
Sie wischte die Tränen fort, dann drehte sie sich um. „Mir geht es blendend.“
„So siehst du aber nicht aus“, meinte Ethan, der in seinem maßgeschneiderten Anzug tatsächlich blendend aussah.
„Sehr charmant, Ethan.“
„Warum hast du geweint?“
„Mir ist ein Song eingefallen.“ Eine lahme Ausrede, die Ethan wohl nicht schlucken würde. „Früher habe ich viel komponiert. Ich habe damit angefangen, als ich noch ein Kind war. Und meine Mutter … sie hat mein Potenzial erkannt und gewittert, dass man daraus Kapital schlagen kann.“
„Also hast du Unterricht bekommen.“
„Bei dem besten Lehrer, ja. Neil war – ist – ein Genie. Er hat mich gefördert, bis meine Mutter mit all meinem Geld verschwunden ist und ich ihn nicht mehr bezahlen konnte.“
„Er ist einfach gegangen, nach so vielen Jahren?“
„Wie sich herausstellte, hatte er schon zwei Jahre kein Geld mehr von meiner Mutter bekommen. Deshalb ist er gegangen, obwohl er fast so etwas wie ein Freund für mich war. Er hat mich verstanden. Meine Mutter hingegen hat sich nie die Mühe gemacht, obwohl sie vierundzwanzig Stunden am Tag mit mir zusammen war.“
Ethan trat zum Klavier und legte seine Hand auf die glänzende Oberfläche. „Du trägst den Ring immer noch nicht“, meinte er mit Blick auf ihre Finger.
„Ich kann ihn holen. Er ist im Bad.“ Tatsächlich steckte er immer noch in der Schachtel. Noelle hatte sich nicht getraut, sie auch nur zu öffnen. Denn selbst wenn den Ring die edelsten Diamanten zieren sollten, hatte er plötzlich eine Bedeutung für sie, die über das Materielle weit hinausging. Ihn anzustecken, wäre weit mehr als nur eine Zierde. Und weit berührender, als nur eine Abmachung einzuhalten.
„Du musst den Ring endlich tragen. Ich will nämlich eine Verlobungsparty für uns geben, aber verlobt sehen wir nicht aus.“
Damit wandte er sich ab und verließ den Raum. Sie wusste, was als Nächstes folgen würde.
Er
Weitere Kostenlose Bücher