Julia Extra Band 359
hochgewachsene, athletische Gestalt überragte sie mindestens um Haupteslänge. Eigentlich gab es diese Sorte Mann überhaupt nicht mehr. Er schien ein Überbleibsel zu sein aus der Zeit, als die Ernährer mit Musketen in den Krieg zogen, oder als sie noch Knüppel benutzten, um Tiere zu erlegen. Clementine hatte keine Schwierigkeiten, ihn sich im Lederschurz und mit einer Keule in der Hand vorzustellen. Natürlich würden Narben von Säbelzahntigern seine breite Brust zeichnen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn die Steppe durchstreifen.
Heutzutage, in unseren hoch technisierten, von der Frauenbewegung und der Gleichberechtigung bestimmten Zeiten, braucht man Männer wie ihn überhaupt nicht mehr, dachte sie, außer im Bett. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Diese Hände auf meinem Körper! Diese Hände, wie sie mir die Stiefel anziehen!
Verstohlen glitt ihr Blick im Spiegel zu ihm hin. Der Kosak hatte sich keinen Millimeter bewegt und starrte sie immer noch an – sie erkannte unverhüllte Faszination, unverhüllte, testosterongesteuerte, maskuline Faszination, die ihr galt. Als befände er sich in einer privaten, nur für ihn bestimmten Peepshow.
Clementine fühlte sich, als hätte sie einen Fieberschub, denn sie spürte, wie sein Blick über ihren Körper kroch. Fast war es, als würde er sie berühren.
Soll er doch, dachte sie. Der Anstand hätte geboten, den Rock hinunterzuziehen, doch nach einem Jahr absoluter Keuschheit genoss sie die Aufmerksamkeit. Das Ganze war letztendlich harmlos. Wenn er schauen wollte – bitte sehr! Viel Spaß, dachte sie. Schließlich konnte nichts passieren mitten in diesem Laden. Sie waren zwei Fremde in einem fremden Land. Sie befand sich in Sicherheit.
Sie bückte sich und krempelte erst den einen Stiefelstulpen um, dann den anderen. Damit bot sie dem Kosaken den unverhüllten Anblick ihrer Schenkel. Als sie fertig war, zog sie Zentimeter für Zentimeter den Rock nach unten, wie sie es unzählige Male bei den Models gesehen hatte.
Okay. Die Show ist vorbei!
Jetzt musste sie die Objekte ihrer Begierde nur noch bezahlen, dann ging es zurück in dieses Rattenloch, in dem man sie untergebracht hatte. Auf dem Weg zur Kasse blickte sie verstohlen zur Tür. Er war immer noch da und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Designerjacke spannte über seinen athletischen Schultern.
Wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag. Er war ganz einfach ein Traum von einem Mann, die fleischgewordene Fantasie jeder Frau. Allerdings wirkte er auch ein bisschen bedrohlich, nicht nur wegen seiner Größe. Clementine hatte deutlich das Gefühl, er warte auf sie.
Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Sie schüttelte die Nervosität ab und kramte nach ihrem Geldbeutel. Den Rest der Woche würde sie von Wasser und Brot leben müssen.
„Sie haben einen Bewunderer“, flüsterte die Kassiererin ihr zu, wobei sie einen Seitenblick zur Tür warf, und verstaute Clementines alte Schuhe in einer Tüte.
„Wahrscheinlich ein Schuhfetischist“, bemerkte Clementine trocken. Auf ihren Lippen lag jedoch ein leichtes Lächeln. Sie holte tief Luft und drehte sich schwungvoll um. Der Kosak war verschwunden.
Sie verließ den Laden, trat auf den Fußweg, schwang betont unbekümmert ihre Designerhandtasche und ging Richtung Metro – da sah sie ihn! Er lehnte an einer Limousine, hatte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans gehakt und musterte sie ungeniert. Sein Blick verweilte etwas länger auf ihrem Busen und ihren runden Hüften. Plötzlich war ihre Kehle wie zugeschnürt, und ihr Herz fing an zu flattern.
Du gehst ganz ruhig weiter, befahl sie sich. Auf keinen Fall bleibst du stehen! Designerklamotten, Limousine – Kerle wie ihn sollte man tunlichst meiden. Solche Typen kannte sie, leider. Einmal war genug. Das Gewerbe, in dem sie tätig war, verleitete Frauen, den leichten Weg zu wählen und ihre weiblichen Attribute einzusetzen, um sich einen bestimmten Lebensstandard zu sichern. Zu denen hatte sie nie gehört, und sie würde auch jetzt nicht damit anfangen.
Sergej starrte wie gebannt auf den Schwung ihrer Hüfte und den Streifen Haut, der zwischen Rocksaum und dem Schaft ihrer Stiefel aufblitzte. Er wusste, wodurch ihre Seidenstrümpfe vor dem Rutschen bewahrt wurden, von mitternachtsblauen Spitzenstrapsen.
Er war gerade im „Krassinsky“ gewesen, dem russischen Äquivalent zu „Tiffanys“, wo er alte Manschettenknöpfe, die einmal seinem Vater gehört hatten, zur
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