Julia Extra Band 359
Daraufhin habe ich das gesamte Wachpersonal gegen Elitesoldaten ausgetauscht. Ich habe überall im Land nach euch suchen lassen, vergeblich. Wo zum Teufel hat man euch festgehalten?“
„Wenn ich das nur wüsste“, erwiderte Harun stirnrunzelnd. „Es war fast, als legten sie es darauf an, uns entkommen zu lassen. Die anfänglich überall ums Gebäude herum positionierten Wachen wurden abgezogen, sodass wir uns schließlich aus dem Fenster abseilen konnten. Irgendwie haben wir es dann bis zur Hauptstraße in die Stadt geschafft, wo uns eine Polizeistreife eingesammelt hat. Unser Aufzug war nicht gerade salonfähig …“, er schoss Amber einen amüsierten Seitenblick zu, „… also haben wir uns rasch umgezogen. Und jetzt sind wir hier, Bruder“, beendete er die knappe Zusammenfassung der Ereignisse.
„Vermutlich hatten sie geplant, uns alle drei zu entführen“, überlegte Alim laut. „Irgendwelche Ideen dazu, Bruder? Schließlich bist du der Taktiker in der Familie.“
„Er ist sehr viel mehr als nur das“, warf Amber scharf ein. Es waren die ersten Worte, die sie sagte, seitdem sie Alims Büro betreten hatten.
Harun bedachte sie mit einem beschwichtigenden Seitenblick und drückte ihre Hand. „Du musst nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Alim hat es nicht abwertend gemeint.“
„Im Gegenteil, das sollte ein Kompliment sein“, bestätigte dieser ernst. „Harun ist es gewesen, der während meiner langen Abwesenheit die Geschicke des Landes gelenkt hat, und zwar zu dessen Wohlergehen.“ Er streifte seinen Bruder mit einem Blick, in dem eine Mischung aus Anerkennung und Bitterkeit lag. „Keine Ahnung, wie er das mit so leichter Hand geschafft hat. Ich jedenfalls hocke hier und raufe mir die Haare.“
Harun sah Amber an, dass ihr eine weitere spitze Bemerkung auf der Zunge lag. Er drückte leicht ihre Hand, um sie zu bremsen. „Zurück zu den Drahtziehern der Entführung. Wäre es nicht möglich, dass fanatische Anhänger des al-Kanar-Clans dahinterstecken? Fundamentalisten, die es darauf angelegt haben, die Geburt eines Erben zu provozieren?“
„Einen Erben von dir und Amber?“ Grimmig fügte Alim hinzu: „Du meinst Anhänger, die die Wahl meiner in ihren Augen unpassenden Braut missbilligen.“ Da sein Bruder nichts darauf erwiderte, blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzusprechen. „Ich gehe also davon aus, dass die Gerüchte über eure Ehe der Wahrheit entsprechen?“
Keiner der beiden sagte etwas oder rührte sich auch nur.
Mit einem kaum merklichen Schulterzucken wechselte Alim das Thema. „Deiner Meinung nach beinhaltete der ursprüngliche Plan also, mich umzubringen und dich als neuen Herrscher einzusetzen.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Ich vermute es. Dabei haben sie allerdings einen Aspekt übersehen.“ Harun sah seinen Bruder offen an. „Ich wollte diese Position nie und will sie immer noch nicht. Es war nie mein Wunsch, in Fadis Fußstapfen zu treten. Noch weniger in deine jetzt.“
„Du willst überhaupt nicht hier sein, stimmt’s“, meinte Alim tonlos.
Wieder eine Feststellung, keine Frage.
„Das wollte er noch nie“, meldete Amber sich zu Wort. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut. „Sag’s ihm, Harun. Höchste Zeit, dass er erfährt, dass du die letzten dreizehn Jahre alles geopfert hast, nur damit er sich selbst verwirklichen konnte.“
Alim starrte ihn entgeistert an, beinahe flehentlich. „Akhi?“
„Amber, bitte“, sagte Harun leise. „Ich weiß deine Unterstützung zu schätzen, aber dieses Thema passt jetzt nicht hierher.“
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Sie war blass vor Erschöpfung, doch ihre Augen glühten. „Ich sehe schon, du bist bereit, dich ein weiteres Mal zu opfern, uns zu opfern, um deine hochheilige Pflicht zu erfüllen. Du bist bereit, dich für ihn zu opfern.“ Sie deutete mit dem Kopf in Alims Richtung. „Betrachtest du ihn immer noch als die einzige Familie, die du hast?“
„Harun?“ Alim klang verunsichert.
Harun wusste nicht, was er sagen sollte. Es erschreckte ihn, dass Amber ihn so mühelos durchschaute. Dann wusste sie also, was er tun würde. Und sie versagte ihm ihre Unterstützung.
Als er schwieg, wandte sie sich mit einem verächtlichen Schnauben an seinen Bruder. Dass sie einmal in ihn verliebt gewesen war, davon war in diesem Moment nichts zu spüren. „Und du? Lässt wieder einmal zu, dass Harun die Arbeit für dich erledigt? Es ist ja auch wunderbar bequem, sich
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